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In einer kleinen Stad

In einer kleinen Stad

Titel: In einer kleinen Stad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Wände hing ein kleiner Teppich, der vermutlich ein kleines Vermögen wert war – er stammte aus der Türkei und war alt. In einer der Vitrinen befand sich eine Kollektion von Zinnsoldaten, möglicherweise gleichfalls alt; aber Polly wußte, daß alle Zinnsoldaten, selbst diejenigen, die am Montag vor einer Woche in Hongkong gegossen worden waren, einen alten Eindruck machten.
    Die angebotenen Gegenstände waren höchst unterschiedlicher Natur. Zwischen dem Foto von Elvis, das ihr vorkam wie eine Sache, die man auf jedem amerikanischen Jahrmarkt für 4.99 Dollar erstehen konnte, und einer völlig uninteressanten Wetterfahne in Form des amerikanischen Adlers lag ein Art Déco-Lampenschirm aus Buntglas, der bestimmt achthundert, möglicherweise sogar bis zu fünftausend Dollar wert war. Ein zerbeulter, uninteressanter Teekessel wurde flankiert von zwei herrlichen poupées, und was diese wunderschönen französischen Püppchen mit ihren geschminkten Wangen und den Strumpfbändern an den Beinen wert waren, konnte sie nicht einmal vermuten.
    Da war eine Sammlung von Baseball- und Tabakskarten, ein ausgebreiteter Stapel von Trivialzeitschriften aus den Dreißigern ( Weird Tales, Astounding Tales, Thrilling Wonder Stories ), ein Radioapparat aus den Fünfzigern in diesem widerlichen Blaßrosa, das die Leute jener Zeit an Gerätschaften, wenn auch nicht in der Politik, offenbar bevorzugt hatten.
    Vor den meisten – wenn auch nicht allen – ausgestellten Gegenständen standen kleine Etiketten; DRUSE MIT DREIFACH-KRISTALLEN, ARIZONA stand auf einem; SATZ VON STECK-SCHÜSSELN auf einem anderen. Das Etikett vor dem Splitter, der Brian so verblüfft hatte, verkündete, daß es sich um VERSTEINERTES HOLZ AUS DEM HEILIGEN LAND handelte. Auf den Etiketten vor den Karten und den Zeitschriften stand: WEITERE AUF ANFRAGE VORRÄTIG.
    Alle Gegenstände, ob Schatz oder Schund, hatten, wie ihr auffiel, eines gemeinsam: an keinem von ihnen befand sich ein Preisschild.

4
     
    Gaunt kehrte mit zwei kleinen Tellern zurück – einfachem Porzellan, nichts Besonderem -, einem Kuchenmesser und zwei Gabeln. »Da oben herrscht noch ein völliges Durcheinander«, gestand er, nahm den Deckel von dem Behälter ab und legte ihn beiseite (wobei er ihn umdrehte, damit er auf der Vitrine, auf der er die Torte servierte, keinen Glasurring hinterließ). »Ich werde mich nach einem Haus umsehen, sobald der Laden richtig läuft, aber fürs erste wohne ich im Obergeschoß. Alles steckt noch in Pappkartons. Ich hasse Pappkartons. Ist es so recht?«
    »Nicht so ein großes Stück«, protestierte Polly. »Meine Güte!«
    »Okay«, sagte Mr. Gaunt heiter und legte das große Stück Torte auf einen der Teller. »Dann nehme ich es. Friß, Vogel, friß! Soviel für Sie?«
    »Noch dünner.«
    »Ein noch dünneres Stück kann ich nicht abschneiden«, sagte er und trennte eine schmale Scheibe ab. »Das duftet köstlich. Nochmals vielen Dank, Polly.«
    »Mehr als gern geschehen.«
    Es duftete wirklich köstlich, und sie hielt nicht Diät, aber ihre anfängliche Weigerung war mehr gewesen als Zurückhaltung bei einem ersten Besuch. In den letzten drei Wochen hatte in Castle Rock ein herrlicher Altweibersommer geherrscht, aber am Montag war es kühl geworden, und seit dem Wetterumschlag waren ihre Hände eine Pest. Der Schmerz würde vermutlich ein wenig nachlassen, sobald sich ihre Gelenke an die niedrigeren Temperaturen gewöhnt hatten (darum betete sie jedenfalls, und so war es bisher immer gewesen, aber sie war nicht blind gegenüber dem progressiven Charakter der Krankheit); doch seit dem frühen Morgen war es sehr schlimm. Wenn es so war wie jetzt, dann wußte sie nicht, was sie mit ihren Verräterhänden tun oder nicht tun konnte, und nur deshalb hatte sie sich anfangs geweigert.
    Jetzt streifte sie die Handschuhe ab und beugte versuchsweise die rechte Hand. Ein Speer aus hungrigem Schmerz schoß durch ihren Unterarm bis zum Ellenbogen. Sie beugte sie abermals mit zusammengepreßten Lippen. Der Schmerz kam, aber diesmal war er nicht so intensiv. Sie entspannte sich ein wenig. Es würde gehen. Nicht gerade großartig, nicht so angenehm, wie Tortenessen eigentlich sein sollte, aber es würde gehen. Sie nahm behutsam ihre Gabel auf, beugte die Finger so wenig wie möglich, als sie sie ergriff. Als sie den ersten Bissen zum Munde führte, sah sie, daß Gaunt sie mitfühlend beobachtete. Gleich wird er mich bemitleiden, dachte sie verdrossen, und mir erzählen, wie

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