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In einer kleinen Stad

In einer kleinen Stad

Titel: In einer kleinen Stad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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ich habe nach wie vor meine guten Tage.« Das war eine Lüge, aber eine, die kaum Schaden anrichten konnte, zumal sie in erster Linie ihrem eigenen Interesse diente.
    »Nun, ich bin froh, daß Sie herübergekommen sind. Um Ihnen die Wahrheit zu gestehen – ich hatte heftiges Lampenfieber.«
    »Wirklich? Warum?« Sie war bei der Beurteilung von Leuten noch weniger vorschnell als bei der Beurteilung von Örtlichkeiten und Ereignissen, und sie war verblüfft – sogar ein wenig bestürzt -, daß sie sich so schnell und so scheinbar selbstverständlich zu Hause fühlte bei einem Mann, den sie vor weniger als einer Minute kennengelernt hatte.
    »Ich habe mich gefragt, was ich tun würde, wenn niemand kommt. Überhaupt niemand, den ganzen Tag über.«
    »Sie werden kommen«, sagte sie. »Sie werden einen Blick auf Ihre Ware werfen wollen – niemand scheint eine Vorstellung davon zu haben, was in einem Laden angeboten wird, der Needful Things heißt -, aber was noch wichtiger ist, sie werden einen Blick auf Sie werfen wollen. Es ist nur so, daß in einer kleinen Stadt wie Castle Rock...«
    »... niemand zu interessiert erscheinen möchte«, beendete er den Satz für sie. »Das weiß ich – ich habe meine Erfahrungen mit kleinen Städten. Mein Verstand sagt mir, daß das, was Sie eben sagten, voll und ganz der Wahrheit entspricht. Aber da ist noch eine andere Stimme, die immer wieder behauptet: >Sie werden nicht kommen, Leland, alter Freund, o nein, sie werden nicht kommen, sie werden in Scharen wegbleiben, wart’s nur ab.‹«
    Sie lachte, und plötzlich erinnerte sie sich, daß ihr ganz genau so zumute gewesen war, als sie You Sew and Sew eröffnet hatte.
    »Aber was ist das?« fragte er und berührte den Tupperware-Behälter mit einer Hand. Dabei fiel ihr auf, was Brian Rusk bereits gesehen hatte: Zeige- und Mittelfinger dieser Hand waren genau gleich lang.
    »Es ist eine Torte. Und wenn ich diese Stadt nur halb so gut kenne, wie ich sie zu kennen glaube, dann wird es die einzige sein, die Sie heute bekommen.«
    Er lächelte sie an, offensichtlich erfreut. »Ich danke Ihnen! Ich danke Ihnen, Ms. Chalmers – ich bin überwältigt.«
    Und sie, die nie jemanden schon bei der ersten Begegnung oder nach kurzer Bekanntschaft aufforderte, sie beim Vornamen zu nennen (und die jedermann, der sich dieses Privileg unaufgefordert anmaßte – Grundstücksmakler, Versicherungsagenten, Autoverkäufer – mit Argwohn betrachtete), hörte sich zu ihrer eigenen Verwunderung sagen: »Und wenn wir schon Nachbarn sein werden – sollten Sie mich dann nicht Polly nennen?«

3
     
    Die Torte war eine Schokoladentorte, wie Leland Gaunt feststellte, indem er den Deckel anhob und schnupperte. Er lud sie ein, zu bleiben und ein Stück mit ihm zu essen. Polly erhob Einwände. Gaunt bestand darauf.
    »Sie haben jemanden, der sich um Ihren Laden kümmert«, sagte er, »und niemand wird es wagen, zumindest in der nächsten halben Stunde einen Fuß in den meinen zu setzen – damit sollte dem Protokoll Genüge getan sein. Und ich habe tausend Fragen über die Stadt.«
    Also gab sie nach. Er verschwand hinter dem Vorhang am hinteren Ende des Ladens, und sie hörte, wie er eine Treppe hinaufstieg – wahrscheinlich wohnte er im Obergeschoß, wenn vielleicht auch nur fürs erste -, um Teller und Kuchengabeln zu holen. Während sie auf seine Rückkehr wartete, wanderte Polly umher und sah sich um.
    Ein gerahmtes Schild an der Wand neben der Tür, durch die sie hereingekommen war, besagte, daß der Laden Montag, Mittwoch, Freitag und Samstag von zehn bis siebzehn Uhr geöffnet sein würde. Dienstag und Donnerstag war er geschlossen, »außer auf Verabredung«, und zwar bis zum späten Frühjahr – oder, dachte Polly mit einem innerlichen Lächeln, bis diese verrückten und unberechenbaren Touristen und Sommergäste auftauchten und dicke Dollarbündel schwenkten.
    Sie kam zu dem Schluß, daß Needful Things ein Raritätenladen war. Ein Raritätenladen der gehobenen Klasse, hätte sie auf den ersten Blick gesagt, aber eine genauere Betrachtung der zum Verkauf stehenden Gegenstände machte ihr klar, daß er sich so leicht nicht kategorisieren ließ.
    Die Stücke, die ausgestellt gewesen waren, als Brian Rusk am Nachmittag zuvor in den Laden gekommen war – Druse, Polaroidkamera, das Foto von Elvis Presley, die paar anderen Dinge -, waren nach wie vor da, aber inzwischen waren ungefähr vier Dutzend andere dazugekommen. An einer der eierschalenfarbenen

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