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In einer kleinen Stad

In einer kleinen Stad

Titel: In einer kleinen Stad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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schlimm die Arthritis seines Großvaters war. Oder die seiner Ex-Frau. Oder die von sonstjemandem.
    Aber Gaunt bemitleidete sie nicht. Er aß einen Bissen Torte und verdrehte gespielt komisch die Augen. »Nähen und Schnittmuster sind ja schön und gut«, sagte er, »aber Sie hätten ein Restaurant aufmachen sollen.«
    »Oh, ich habe sie nicht gebacken«, sagte sie, »aber ich werde das Kompliment an Nettie Cobb weitergeben. Sie führt mir den Haushalt.«
    »Nettie Cobb«, sagte er nachdenklich, während er von seinem Tortenstück einen weiteren Bissen abtrennte.
    »Ja – kennen Sie sie?«
    »Oh, das bezweifle ich.« Er sprach auf die Art eines Mannes, der plötzlich in die Gegenwart zurückgerufen worden ist. »Ich kenne überhaupt niemanden in Castle Rock.« Er warf ihr aus den Augenwinkeln heraus einen verschlagenen Blick zu. »Irgendeine Chance, daß sie sich abwerben ließe?«
    »Nicht die geringste«, erwiderte Polly lachend.
    »Ich wollte Sie nach den Grundstücksmaklern fragen«, sagte Gaunt. »Welcher ist Ihrer Meinung nach der vertrauenswürdigste in dieser Gegend hier?«
    »Oh, sie sind alle Diebe, aber Mark Hopewell ist vermutlich nicht schlimmer als die anderen auch.«
    Er unterdrückte ein Auflachen und hielt sich die Hand vor den Mund, um keine Krümel zu verspritzen. Dann begann er zu husten, und wenn ihre Hände nicht so weh getan hätten, hätte sie ihm freundschaftlich ein paarmal den Rücken geklopft. Erste Begegnung oder nicht – sie mochte ihn.
    »Entschuldigung«, sagte er, noch immer leise kichernd. »Aber sie sind alle Diebe, nicht wahr?«
    »So ist es.«
    Wenn sie eine andere Art Frau gewesen wäre – eine, die die Geschehnisse ihrer Vergangenheit weniger vollständig für sich selbst behielt -, dann hätte Polly jetzt damit angefangen, Leland Gaunt die wichtigsten Fragen zu stellen. Weshalb war er nach Castle Rock gekommen? Wo war er gewesen, bevor er hierher kam? Hatte er vor, lange zu bleiben? Hatte er Familie? Aber sie war nicht diese andere Art Frau, und deshalb begnügte sie sich damit, seine Fragen zu beantworten; sie tat es außerdem gern, da keine sie selbst betraf. Er wollte wissen, wie die Stadt beschaffen war, wieviel Verkehr im Winter auf der Main Street herrschte, ob es in der Nähe einen Laden gäbe, in dem er einen hübschen kleinen Jotul-Ofen kaufen konnte, wie hoch die Versicherungsprämien wären, und tausend andere Dinge. Er holte aus dem blauen Blazer, den er trug, ein dünnes, in schwarzes Leder gebundenes Notizbuch und hielt bedächtig jeden Namen fest, den sie erwähnte.
    Sie schaute auf ihren Teller und stellte fest, daß sie ihre Torte aufgegessen hatte. Ihre Hände schmerzten nach wie vor, aber weniger als bei ihrem Eintreffen. Sie erinnerte sich, daß sie sich fast gegen das Herkommen entschieden hatte, weil die Schmerzen so unerträglich gewesen waren. Doch jetzt war sie froh, daß sie gekommen war.
    »Ich muß jetzt gehen«, sagte sie nach einem Blick auf die Uhr. »Rosalie wird glauben, ich wäre gestorben.«
    Sie hatten im Stehen gegessen. Jetzt stapelte Gaunt die Teller aufeinander, legte die Kuchengabeln darauf und drückte den Deckel wieder auf den Behälter. »Sie bekommen ihn wieder, sobald ich die Torte aufgegessen habe. Geht das in Ordnung?«
    »Natürlich.«
    »Sie werden ihn vermutlich im Laufe des Nachmittags bekommen«, sagte er.
    »So eilig ist es nun auch wieder nicht«, sagte sie, als Gaunt sie zur Tür begleitete. »Es war nett, Sie kennenzulernen.«
    »Danke, daß Sie vorbeigekommen sind«, sagte er. Einen Augenblick lang glaubte sie, daß er ihren Arm ergreifen würde, und empfand beim Gedanken an seine Berührung eine Art Widerwillen, was natürlich albern war – aber er tat es nicht. »Sie haben aus etwas, von dem ich befürchtete, es würde ein gräßlicher Tag werden, so etwas wie einen Festtag gemacht.«
    »Das Geschäft wird gut gehen.« Polly öffnete die Tür, dann hielt sie inne. Sie hatte ihm keinerlei Fragen über ihn selbst gestellt, aber in einem Punkt war sie neugierig, zu neugierig, um zu gehen, ohne danach zu fragen. »Sie haben alle möglichen interessanten Dinge...«
    »Danke.«
    »... aber keines ist mit einem Preis ausgezeichnet. Weshalb?«
    Er lächelte. »Das ist eine meiner kleinen Eigenheiten, Polly. Ich war seit jeher der Ansicht, daß zu jedem Handel, der der Mühe wert ist, auch ein gewisses Maß an Feilschen gehört. Wahrscheinlich bin ich in einer früheren Inkarnation ein Teppichhändler aus dem Mittleren

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