In einer kleinen Stad
Osten gewesen. Vermutlich aus dem Irak, wie ich zu meiner Schande gestehen muß.«
»Also verlangen Sie, was der Markt jeweils hergibt?« fragte sie mit nur einem leichten Anflug von Hänselei.
»So könnte man es ausdrücken«, erwiderte er ernsthaft, und wieder fiel ihr auf, wie tief seine nußbraunen Augen waren – auf ganz merkwürdige Weise schön. »Ich würde eher sagen, daß das Bedürfnis den Wert bestimmt.«
»Ich verstehe.«
»Tun Sie das wirklich?«
»Nun – ich glaube es zumindest. Es erklärt jedenfalls den Namen des Ladens – Needful Things, Dinge, nach denen ein Bedürfnis besteht.«
Er lächelte. »Möglich«, sagte er. »Ja, das ist durchaus möglich.«
»Ich wünsche Ihnen einen guten Tag, Mr. Gaunt...«
»Leland, bitte. Oder nur Lee.«
»Leland, also. Und wegen der Kundschaft brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Wahrscheinlich müssen Sie spätestens am Freitag einen Wachmann anheuern, der sie bei Geschäftsschluß aus dem Laden scheucht.«
»Glauben Sie das wirklich? Das wäre herrlich.«
»Auf Wiedersehen.«
»Ciao«, sagte er und machte die Tür hinter ihr zu.
Er blieb noch einen Moment stehen und sah Polly Chalmers nach, wie sie die Straße entlangging, und die Handschuhe an ihren Händen glatt strich, so deformiert und ein so bestürzender Kontrast zu allem übrigen, das schlank und hübsch war, wenn auch nicht übermäßig bemerkenswert. Gaunts Lächeln wuchs. Als seine Lippen zurückwichen und seine unregelmäßigen Zähne entblößten, wurde es unangenehm räuberisch.
»Du wirst deinen Zweck erfüllen«, sagte er leise in dem leeren Laden. »Du wirst deinen Zweck bestens erfüllen.«
Seine Lippen wichen noch weiter zurück, und jetzt kam ein Zahnfleisch zum Vorschein, so dunkel, daß es aussah wie frische Wunden, und er begann zu lachen.
5
Pollys Vorhersage erwies sich als richtig. Bei Ladenschluß an diesem Tage waren fast alle Damen von Castle Rock – zumindest diejenigen, die eine Rolle spielten – und mehrere Männer in Needful Things erschienen, um sich kurz umzusehen. Fast alle ließen es sich angelegen sein, Mr. Gaunt zu versichern, daß sie nur einen Augenblick Zeit hätten, weil sie zu irgend etwas anderem unterwegs wären.
Stephanie Bonsaint, Cynthia Rose Martin, Barbara Miller und Francine Pelletier waren die ersten; Steffie, Cyndi Rose, Babs und Francie erschienen in einem Grüppchen, sich gegenseitig Schutz gewährend, keine zehn Minuten nachdem man gesehen hatte, wie Polly den neuen Laden verließ (die Nachricht von ihrem Fortgehen verbreitete sich schnell und gründlich über das Telefon und den leistungsfähigen Buschtelegrafen, der durch die Hinterhöfe Neuenglands verläuft).
Steffie und ihre Freundinnen sahen sich um. Stießen Oohs und Aaahs aus. Sie versicherten Gaunt, sie könnten nicht lange bleiben, weil dies ihr Bridge-Tag war (wobei sie nicht erwähnten, daß die allwöchentliche Partie im allgemeinen nicht vor vierzehn Uhr begann). Francie fragte ihn, woher er käme. Gaunt sagte Akron, Ohio. Steffie fragte ihn, ob er schon lange im Antiquitätengeschäft wäre. Gaunt teilte ihr mit, daß er seinen Laden eigentlich nicht für ein Antiquitätengeschäft hielte. Cyndi wollte wissen, ob er schon lange in Neuengland lebte. Eine ganze Weile, erwiderte Gaunt, eine ganze Weile.
Alle vier stimmten später darin überein, daß der Laden interessant war – so viele merkwürdige Dinge! -, aber die Unterhaltung war sehr unbefriedigend gewesen. Der Mann war verschlossen wie Polly Chalmers, vielleicht sogar noch verschlossener. Dann wies Babs auf das hin, was sie alle wußten (oder zu wissen glaubten): daß Polly der erste Mensch in der Stadt war, der den neuen Laden tatsächlich betreten hatte, und daß sie einen Kuchen mitgebracht hatte. Vielleicht, so spekulierte Babs, kannte sie Mr. Gaunt – aus der Zeit zuvor, der Zeit, die sie anderswo verbracht hatte.
Cyndi Rose hatte Interesse an einer Lalique-Vase geäußert und Mr. Gaunt (der sich in der Nähe aufhielt, sich aber, wie sie alle beifällig registrierten, nicht aufdrängte) gefragt, wieviel sie kosten sollte.
»Welchen Preis halten Sie für angemessen?« fragte er lächelnd.
Sie erwiderte sein Lächeln, ziemlich kokett. »Oh«, sagte sie. »Ist das die Art, auf die Sie Geschäfte machen, Mr. Gaunt?«
»Das ist die Art«, pflichtete er ihr bei.
»Nun, wenn Sie mit Yankees feilschen wollen, werden Sie mehr verlieren als gewinnen«, sagte Cyndi Rose, während ihre Freundinnen sie mit
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