In einer kleinen Stad
des Papstes begraben wurde) und Norris Ridgewick. Norris sah blaß und ein wenig verstört aus. Anscheinend haben die Fische nicht angebissen, dachte Alan.
»Möge der Herr euch segnen und die Erinnerungen an Nettie Cobb in euren Herzen frisch und grün halten«, sagte Killingworth, und neben Alan begann Polly wieder zu weinen. Er legte seinen Arm um sie, und sie lehnte sich dankbar an ihn; ihre Hand fand die seine und schlang sich fest hinein. »Möge der Herr sein Angesicht erheben über euch; möge er seine Gnade walten lassen über euch; möge er eure Seelen aufrichten und euch Frieden schenken. Amen.«
Der Tag war sogar noch heißer, als der Kolumbus-Tag es gewesen war, und als Alan den Kopf hob, schossen ihm grelle Lichtreflexe von den Stahlschienen des Sarges in die Augen. Er wischte sich mit der freien Hand über die Stirn, die feucht war von Sommerschweiß. Polly suchte in ihrer Handtasche nach einem frischen Kleenex und wischte sich damit die Augen.
»Liebling, ist alles in Ordnung?« fragte Alan.
»Ja – aber ich muß um sie weinen, Alan. Arme Nettie. Arme, arme Nettie. Warum ist das passiert? Warum ?« Und sie begann wieder zu schluchzen.
Alan, der sich genau dieselbe Frage stellte, nahm sie in die Arme. Über ihre Schulter hinweg sah er, wie Norris auf die Stelle zuging, an der die paar Netties Trauergästen gehörenden Wagen standen. Er sah aus wie ein Mann, der entweder nicht weiß, wo er hingeht, oder der noch nicht richtig wach ist. Alan runzelte die Stirn. Dann kam Rosalie Drake auf Norris zu, sagte etwas zu ihm, und Norris umarmte sie.
Alan dachte: Er hat sie auch gekannt – er ist einfach traurig, das ist alles. Du jagst dieser Tage einer Menge Schatten nach. Die richtige Frage müßte vielleicht lauten: was ist los mit dir?
Dann war Killingworth da, und Polly drehte sich um, bekam sich wieder in die Gewalt und dankte ihm. Mit gut verhohlener Verblüffung beobachtete Alan, wie Polly ihre Hand ohne ein Spur von Angst in die des Geistlichen legte. Er konnte sich nicht erinnern, jemals gesehen zu haben, daß Polly jemandem eine ihrer Hände so bereitwillig und unbekümmert dargeboten hatte.
Es geht ihr nicht nur ein wenig besser; es geht ihr erheblich besser. Was in aller Welt ist passiert?
Auf der anderen Seite des Hügels verkündete Father John Brighams irritierend nasale Stimme: »Friede sei mit euch!«
»Amen«, respondierten die Trauergäste en masse .
Alan betrachtete den schlichten grauen Sarg neben diesem gräßlichen Teppich aus grünem Kunstrasen und dachte: Friede sei mit dir, Nettie. Jetzt und für alle Zeiten. Friede sei mit dir.
2
Während auf dem Homeland-Friedhof das Doppelbegräbnis ablief, parkte Eddie Warburton vor Pollys Haus. Er stieg aus seinem Wagen – keinem hübschen neuen Wagen wie dem, den ihm dieser weiße Dreckskerl unten in der Sunoco-Tankstelle ruiniert hatte, sondern einer ältlichen Allerweltskarre – und schaute vorsichtig in beide Richtungen. Alles schien in bester Ordnung zu sein; die Straße glitt durch etwas hindurch, das ohne weiteres ein Nachmittag Anfang August hätte sein können.
Eddie eilte Pollys Plattenweg hinauf und zog dabei einen amtlich aussehenden Umschlag aus seinem Hemd. Mr. Gaunt hatte ihn vor nur zehn Minuten angerufen und ihm erklärt, es wäre Zeit, die Restschuld für sein Medaillon zu begleichen, und hier war er nun – natürlich. Mr. Gaunt war ein Mann, bei dem man sprang, wenn er Frosch sagte.
Eddie stieg die drei Stufen von Pollys Vortreppe hinauf. Eine heiße kleine Brise versetzte die Windglöckchen über der Tür in Bewegung und ließ sie leise klingeln. Es war das kultivierteste Geräusch, das man sich vorstellen konnte; Eddie fuhr trotzdem ein wenig zusammen. Er schaute sich abermals um, sah niemanden, dann betrachtete er wieder den Umschlag. Adressiert an »Mrs. Patricia Chalmers« – ziemlich hochtrabend. Eddie hatte nicht die geringste Ahnung gehabt, daß Polly in Wirklichkeit Patricia hieß, und es kümmerte ihn auch nicht. Seine Aufgabe war, diese kleine Arbeit zu verrichten und dann schleunigst wieder zu verschwinden.
Er steckte den Brief durch den Türschlitz. Er segelte herunter und landete auf der übrigen Post: zwei Katalogen und einer Reklame für Kabelfernsehen. Nur ein länglicher Umschlag mit Pollys Namen und Adresse unter dem Freistempel in der oberen rechten Ecke und der Absenderadresse oben links:
San Francisco Department of Child Welfare
666 Geary Street
San Francisco, California
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