In einer kleinen Stad
Lesezimmer eingeschlafen bin. Ich habe geträumt, Sie riefen mich.«
»Das habe ich getan.« Mr. Gaunt legte die Spitzen seiner merkwürdig gleichlangen Finger unter dem Kinn zusammen und lächelte den Jungen an. »Sag mir – hat deiner Mutter der Teekessel gefallen, den du für sie gekauft hast?«
Eine Röte stieg in Slopeys Wangen und verlieh ihnen die Farbe alter Ziegelsteine. Er wollte etwas sagen, dann ließ er es und betrachtete statt dessen seine Füße.
Mit seiner sanftesten, liebenswürdigsten Stimme sagte Mr. Gaunt: »Du hast ihn für dich behalten, nicht wahr?«
Slopey nickte und betrachtete auch weiterhin seine Füße. Er fühlte sich beschämt und verwirrt. Und was das schlimmste war: er empfand ein deprimierendes Gefühl des Verlustes und der Trauer. Mr. Gaunt hatte irgendwie diesen lästigen, widerwärtigen Knoten in seinem Kopf gelöst – und was nützte ihm das? Er war zu verlegen, um zu reden.
»Und nun sag mir – wozu braucht ein zwölfjähriger Junge einen zinnernen Teekessel?«
Slopeys Stirnlocke, die noch ein paar Sekunden zuvor aufund abgehüpft war, schwankte jetzt, da er den Kopf schüttelte, von einer Seite zur anderen. Er wußte nicht, wozu ein zwölfjähriger Junge einen zinnernen Teekessel brauchte. Er wußte nur, daß er ihn behalten wollte. Er mochte ihn. Er gefiel ihm.
»... anfühlt«, murmelte er schließlich.
»Wie bitte?« fragte Mr. Gaunt und hob die Braue.
»Mir gefällt, wie er sich anfühlt.«
»Slopey, Slopey«, sagte Mr. Gaunt und kam um den Tresen herum, » mir brauchst du das nicht zu erklären. Ich weiß alles über diese eigentümliche Sache, die die Leute ›Besitzerstolz< nennen. Ich habe sie zum Eckpfeiler meines beruflichen Lebens gemacht.«
Slopey Dodd wich bestürzt vor Mr. Gaunt zurück. »Fassen Sie mich nicht an! Bitte nicht!«
»Slopey, ich habe ebensowenig die Absicht, dich anzufassen, wie die, dir zu sagen, du sollst deiner Mutter den Teekessel geben. Er gehört dir . Du kannst damit machen, was du willst. Ich gratuliere dir sogar zu deiner Entscheidung, ihn für dich zu behalten.«
»Das – das tun Sie?«
»Das tue ich. In der Tat. Selbstsüchtige Leute sind glückliche Leute. Davon bin ich felsenfest überzeugt. Aber, Slopey...«
Slopey hob den Kopf und sah durch die Fransen des roten Haars, das ihm in die Stirn hing, ein wenig ängstlich zu Mr. Gaunt auf.
»Die Zeit ist gekommen, daß du deine restliche Schuld darauf bezahlst.«
»Oh!« Ein Ausdruck ungeheurer Erleichterung breitete sich auf Slopeys Gesicht aus. »Haben Sie mich nur deshalb kommen lassen? Ich dachte, vielleicht...« Aber er konnte den Satz nicht beenden oder wagte es nicht. Er war nicht sicher gewesen, was Mr. Gaunt von ihm wollte.
»Ja. Weißt du noch, wem du einen Streich spielen solltest?«
»Natürlich. Trainer Pratt.«
»Richtig. Dieser Streich besteht aus zwei Teilen – du mußt etwas an eine bestimmte Stelle legen, und du mußt Trainer Pratt etwas mitteilen. Und wenn du meine Anweisungen genau befolgst, gehört der Teekessel für immer dir.«
»Kann ich auch so reden wie jetzt?« fragte Slopey eifrig. »Kann ich auch für immer reden, ohne zu stottern?«
Mr. Gaunt seufzte bedauernd. »Leider wird alles so sein wie vorher, sobald du meinen Laden verlassen hast, Slopey. Ich glaube zwar, daß ich irgendwo ein Anti-Stotter-Gerät auf Lager habe, aber...«
»Bitte! Bitte, Mr. Gaunt! Ich tue alles, was Sie wollen. Wem Sie wollen. Ich hasse das Stottern.«
»Ich weiß, daß du das tun würdest, aber genau das ist das Problem. Mir gehen die Streiche, die man irgendwelchen Leuten spielen könnte, rapide aus; meine Tanzkarte, könnte man sagen, ist voll. Du könntest mich also nicht bezahlen.«
Slopey zögerte eine ganze Weile, bevor er wieder sprach. Als er es tat, war seine Stimme leise und scheu. »Könnten Sie nicht – ich meine, verschenken Sie niemals etwas, Mr. Gaunt?«
Leland Gaunts Gesicht wurde tieftraurig. »Oh, Slopey! Wie oft habe ich schon daran gedacht, und wie sehnsüchtig! Da ist ein tiefer, unbenutzter Brunnen der Wohltätigkeit in meinem Herzen. Aber...«
»Aber...«
»Aber es läßt sich einfach nicht mit dem Geschäftemachen vereinbaren«, beendete Mr. Gaunt seinen Satz. Er bedachte Slopey mit einem mitfühlenden Lächeln – aber seine Augen funkelten so wölfisch, daß Slopey einen Schritt zurückwich. »Das verstehst du doch, nicht wahr?«
»Oh – ja. Natürlich.«
»Außerdem«, fuhr Mr. Gaunt fort, »sind die nächsten paar Stunden
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