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In einer kleinen Stad

In einer kleinen Stad

Titel: In einer kleinen Stad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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für mich von größter Wichtigkeit. Wenn die Dinge einmal ins Rollen geraten sind, können sie kaum noch aufgehalten werden. Aber im Augenblick muß ich noch vorsichtig sein. Wenn du plötzlich nicht mehr stottern würdest, dann gäbe das Anlaß zu Fragen. Das wäre nicht gut. Der Sheriff läuft schon jetzt herum und fragt nach Dingen, die ihn nichts angehen.« Sein Gesicht verdunkelte sich einen Moment, dann brach sein häßliches, verzaubertes Lächeln wieder hervor. »Aber ich habe vor, mich um ihn zu kümmern, Slopey. O ja.«
    »Sie meinen um Sheriff Pangborn?«
    »Ja – ich meine um Sheriff Pangborn.« Mr. Gaunt hob Zeige- und Mittelfinger und ließ sie abermals vor Slopey Dodds Gesicht niederfahren, von der Stirn bis zum Kinn. »Aber wir haben nie über ihn gesprochen, nicht wahr?«
    »Über wen gesprochen?« fragte Slopey verwirrt.
    »So ist’s richtig.«
    Leland Gaunt trug an diesem Tag eine dunkelgraue Wildlederjacke, und aus einer ihrer Taschen zog er eine schwarze, lederne Brieftasche heraus. Er hielt sie Slopey hin, der sie vorsichtig ergriff und sorgfältig darauf achtete, Mr. Gaunts Finger nicht zu berühren.
    »Du kennst den Wagen von Trainer Pratt?«
    »Den Mustang? Natürlich.«
    »Lege dies hier hinein. Unter den Beifahrersitz, so, daß nur eine Ecke herausragt. Du gehst jetzt sofort zur High School – sie muß dort sein, bevor die Glocke zum Unterrichtsschluß läutet. Hast du verstanden?«
    »Ja.«
    »Dann wartest du, bis er herauskommt. Und wenn er das tut...«
    Mr. Gaunt sprach mit leise murmelnder Stimme weiter, und Slopey sah ihn an, mit herabhängendem Unterkiefer und benommenen Augen, und nickte von Zeit zu Zeit.
    Slopey Dodd ging ein paar Minuten später – mit John LaPointes Brieftasche unter seinem Hemd.

Sechzehntes Kapitel
     

1
     
    Nettie lag in einem schlichten grauen Sarg, den Polly Chalmers bezahlt hatte. Alan hatte sie gebeten, seinen Teil dazu beitragen zu dürfen, und sie hatte abgelehnt – auf die simple, aber entschlossene Art, die er inzwischen kannte und zu respektieren und akzeptieren gelernt hatte. Der Sarg stand auf Stahlschienen über einem offenen Grab auf dem Homeland-Friedhof, in der Nähe der Stelle, an der Pollys Angehörige begraben waren.
    Der Erdhügel daneben war mit einem Teppich aus grellgrünem Kunstrasen bedeckt, der in dem warmen Sonnenlicht funkelte. Dieses künstliche Gras ließ Alan immer schaudern. Es hatte etwas Obszönes an sich, etwas Widerwärtiges. Es gefiel ihm noch weniger als die Praxis der Leichenbestatter, die Toten zu schminken und sie in ihre besten Kleider zu stecken, als wären sie unterwegs zu einem Disko-Wochenende in Boston anstatt zu einer langen Periode des Verfaulens zwischen Wurzeln und Würmern.
    Reverend Tom Killingworth, der Methodist, der zweimal wöchentlich einen Gottesdienst in Juniper Hill abhielt und Nettie gut gekannt hatte, hielt auf Pollys Bitte hin die Predigt. Sie war kurz, aber herzlich, voll von Hinweisen auf die Nettie Cobb, die dieser Mann gekannt hatte, eine Frau, die langsam und tapfer aus dem Schatten geistiger Gestörtheit herausgetreten war, eine Frau, die den mutigen Entschluß gefaßt hatte, noch einmal einen Versuch zu unternehmen mit der Welt, die sie so schlecht behandelt hatte.
    »Als ich noch ein Junge war«, sagte Tom Killingworth, »hing im Nähzimmer meiner Mutter eine Plakette mit einem irischen Sprichwort. Es lautete: >Mögest du im Himmel sein eine halbe Stunde bevor der Teufel weiß, daß du tot bist.<. Nettie Cobb hatte ein schweres Leben, in vieler Hinsicht ein trauriges Leben, aber dennoch glaube ich nicht, daß sie und der Teufel viel miteinander zu schaffen hatten. Ungeachtet ihres entsetzlichen, vorzeitigen Todes ist mein Herz davon überzeugt, daß es der Himmel ist, in den sie eingegangen ist, und daß der Teufel es noch nicht weiß.« Killingworth hob die Arme in der traditionellen Segensgeste. »Lasset uns beten.«
    Von der anderen Seite des Hügels, wo zur gleichen Zeit Wilma Jerzyck begraben wurde, kam das Geräusch vieler Stimmen, die sich, mit Father John Brigham respondierend, hoben und senkten. Die Wagen der Trauergemeinde standen in einer langen Reihe von der Grabstelle bis zum Osttor des Friedhofs: die Leute waren Peter Jerzycks, des Lebenden, wegen gekommen, weniger seiner toten Frau wegen. Auf dieser Seite gab es nur fünf Trauergäste: Polly, Alan, Rosalie Drake, der alte Lenny Partridge (der prinzipiell an allen Beerdigungen teilnahm, sofern nicht jemand aus der Armee

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