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In einer kleinen Stad

In einer kleinen Stad

Titel: In einer kleinen Stad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Quelle: am Sonntag hatte sie genau dasselbe empfunden, was Alan jetzt empfand. Seither war etwas passiert, das einen Sinneswandel herbeigeführt hatte, und der Umgang mit diesem Sinneswandel war nicht leicht. »Dieses Ding tut seine Wirkung . Ich weiß, es klingt verrückt, aber so ist es. Am Sonntagmorgen, als Nettie vorbeikam, war es die perfekte Hölle. Ich dachte daran, daß vielleicht die einzige Lösung meiner Probleme die Amputation beider Hände wäre. Die Schmerzen waren so schlimm, Alan, daß ich mir diese Idee durch den Kopf gehen ließ mit einem Gefühl, das fast Überraschung war. Ungefähr so: >Ach ja – Amputation? Weshalb habe ich nicht schon früher daran gedacht? Das liegt doch so nahe!< Und jetzt, nur zwei Tage später, habe ich nur noch das, was Dr. Van Allen >flüchtige Schmerzen< nennt, und selbst die scheinen zu verschwinden. Ich erinnere mich, daß ich vor ungefähr einem Jahr eine Woche lang nur geschälten Reis gegessen habe, weil das helfen sollte. Ist das so sehr anders?«
    Während sie sprach, war der Zorn aus ihrer Stimme gewichen, und sie schaute ihn fast flehentlich an.
    »Ich weiß nicht, Polly. Ich weiß es wirklich nicht.«
    Sie hatte ihre Hand wieder geöffnet, und jetzt hielt sie das azka zwischen Daumen und Zeigefinger. Alan beugte sich nieder, um es genau zu betrachten, unternahm aber diesmal keinen Versuch, es zu berühren. Es war ein kleiner silberner Gegenstand, nicht ganz rund. Die untere Hälfte wies winzige Löcher auf, nicht größer als die Punkte, aus denen sich ein Zeitungsfoto zusammensetzt. Es funkelte matt in der Sonne.
    Und als Alan es betrachtete, überkam ihn ein starkes, irrationales Gefühl; es gefiel ihm nicht. Es gefiel ihm ganz und gar nicht. Er widerstand dem kurzen, machtvollen Drang, es einfach von Pollys Hals zu reißen und aus dem Fenster zu werfen.
    Ja! Gute Idee, Freund! Tu das, und dann kannst du deine Zähne aus deinem Schoß aufsammeln!
    »Manchmal fühlt es sich fast so an, als bewegte sich etwas da drinnen«, sagte Polly lächelnd. »Wie eine mexikanische springende Bohne oder so etwas. Ist das nicht albern?«
    »Ich weiß nicht.«
    Mit einem überaus unguten Gefühl beobachtete er, wie sie es wieder unter ihre Bluse fallen ließ – aber sobald es nicht mehr sichtbar war und ihre Finger – ihre unbestreitbar geschmeidigen Finger – die obersten Knöpfe ihrer Bluse wieder geschlossen hatten, begann dieses Gefühl zu verschwinden. Was nicht verschwand, war sein wachsender Argwohn, daß Mr. Leland Gaunt die Frau, die er liebte, betrog – und wenn er das tat, wäre sie nicht die einzige.
    »Hast du schon einmal daran gedacht, daß es auch etwas anderes sein könnte?« Jetzt bewegte er sich mit der Vorsicht eines Mannes, der versucht, auf glitschigen Trittsteinen einen schnell fließenden Bach zu überqueren. »Du weißt, daß du schon früher Rückfälle gehabt hast.«
    »Natürlich weiß ich das«, sagte Polly mit gereizter Geduld.
    »Schließlich sind es meine Hände .«
    »Polly, ich versuche doch nur...«
    »Ich wußte, daß du so reagieren würdest, wie du jetzt reagierst, Alan. Die simple Tatsache ist die: ich weiß, wie sich ein Rückfall von Arthritis anfühlt, und dies ist keiner. In den letzten fünf oder sechs Jahren hat es Perioden gegeben, in denen es mir ziemlich gut ging, aber so gut ist es mir zu keiner Zeit gegangen. Dies ist anders. Es ist wie...« Sie hielt inne, dachte nach, machte dann, fast nur mit den Händen und Schultern, eine Geste der Verlegenheit. »Es ist, als fühlte ich mich wieder richtig wohl . Ich erwarte nicht, daß du verstehst, was ich damit meine, aber besser kann ich es nicht ausdrücken.«
    Er nickte mit gerunzelter Stirn. Er verstand, was sie meinte, und er verstand auch, daß es ihr ernst damit war. Vielleicht hatte das azka eine tief in ihrem Bewußtsein schlummernde Heilkraft freigesetzt. War das möglich, obwohl die Krankheit selbst nicht psychosomatischen Ursprungs war? Die Rosenkreuzer waren überzeugt, daß dergleichen alle Tage passierte. Und das gleiche galt auch für die Millionen von Leuten, die L. Ron Hubbards Buch über Dianetik gekauft hatten. Er selbst wußte es nicht; das einzige, was er mit Sicherheit sagen konnte, war, daß er noch nie erlebt hatte, wie ein Blinder sich zu einem Sehenden zurückgedacht oder ein Verletzter seine Blutung durch eine Willensanstrengung gestillt hatte.
    Was er wußte, war etwas anderes: irgend etwas an dieser ganzen Geschichte roch faul. Irgend etwas daran

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