Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In einer kleinen Stad

In einer kleinen Stad

Titel: In einer kleinen Stad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
vor drei. Selbst wenn er sich beeilte, würde er Brian Rusk womöglich verfehlen.
    »Ich rufe dich am Abend an«, rief er aus dem Fenster.
    »Gut«, sagte sie. »Tu das, Alan.« Sie ging auf die Tür unter der Markise zu, ohne sich noch einmal umzudrehen. Bevor er den Rückwärtsgang einlegte und den Kombi aus der Parkbucht heraussetzte, hörte Alan das Bimmeln eines silbernen Glöckchens.

5
     
    »Mrs. Chalmers!« rief Mr. Gaunt fröhlich und machte ein Häkchen auf dem Blatt neben der Registrierkasse. Er näherte sich dem Ende der Liste; Pollys Name war der vorletzte.
    »Bitte – Polly«, sagte sie.
    »Entschuldigen Sie.« Sein Lächeln wurde breiter. » Polly .«
    Sie erwiderte sein Lächeln, aber ein wenig gezwungen. Jetzt, da sie hier war, bedauerte sie zutiefst, daß sie und Alan sich im Zorn getrennt hatten. Plötzlich mußte sie sich sehr anstrengen, um nicht in Tränen auszubrechen.
    »Mrs. Chalmers? Polly? Geht es Ihnen nicht gut?« Mr. Gaunt kam um den Tresen herum. »Sie sehen etwas blaß aus.« Auf seinem Gesicht lag echte Anteilnahme. Das ist der Mann, den Alan für einen Gauner hält, dachte Polly. Wenn er ihn jetzt nur sehen könnte...
    »Wahrscheinlich ist es die Sonne«, sagte sie mit einer Stimme, die nicht ganz stetig war. »Draußen ist es so warm.«
    »Aber hier drinnen ist es kühl«, sagte er beruhigend. »Kommen Sie, Polly. Setzen Sie sich.«
    Er dirigierte sie mit der Hand, aber ohne sie zu berühren, zu einem der roten Samtstühle. Sie ließ sich mit geschlossenen Knien darauf nieder.
    »Ich habe zufällig aus dem Fenster geschaut«, sagte er, setzte sich auf den Stuhl daneben und verschränkte seine langen Hände im Schoß. »Ich hatte den Eindruck, daß Sie und der Sheriff einen kleinen Streit hatten.«
    »Es war nichts«, sagte sie, aber eine einzelne große Träne löste sich aus dem Winkel ihres linken Auges und rollte als stummes Gegenargument über ihre Wange.
    »Im Gegenteil«, sagte er. »Es ist sehr wichtig.«
    Sie sah zu ihm auf, überrascht – und Mr. Gaunts nußbraune Augen fingen ihren Blick ein. Waren sie schon immer nußbraun gewesen? Sie konnte sich nicht erinnern, jedenfalls nicht genau. Aber als sie in sie hineinschaute, spürte sie, wie der ganze Jammer des Tages – die Beerdigung der armen Nettie und dann der alberne Streit, den sie mit Alan gehabt hatte – von ihr abzugleiten begann.
    »Ist es das?«
    »Polly«, sagte er sanft. »Ich glaube, daß sich alles zum Besten wenden wird. Wenn Sie mir vertrauen. Tun Sie das? Vertrauen Sie mir?«
    »Ja«, sagte Polly, obwohl irgend etwas in ihr, etwas, das weit entfernt und schwach war, eine verzweifelte Warnung herausschrie. »Ich tue es – einerlei, was Alan sagt. Ich vertraue Ihnen von ganzem Herzen.«
    »Das freut mich«, sagte Mr. Gaunt. Er ergriff eine von Pollys Händen. Einen Moment lang verzog sich ihr Gesicht vor Abscheu, dann entspannte es sich wieder, und der leere und verträumte Ausdruck kehrte zurück.
    »Das freut mich wirklich. Und Ihr Freund, der Sheriff, hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen. Ihr Scheck ist für mich so gut wie Gold.«

6
     
    Alan stellte fest, daß er zu spät kommen würde, wenn er nicht das Blaulicht auf das Dach stellte und einschaltete. Aber das wollte er nicht. Er wollte nicht, daß Brian Rusk ein Polizeifahrzeug sah; er wollte, daß er einen nicht mehr ganz neuen Kombi sah, einen von der Art, wie sein eigener Dad ihn vermutlich fuhr.
    Es war zu spät, um die Schule noch zu erreichen, bevor sie aus war. Alan parkte statt dessen an der Kreuzung von Main und School Street. Das war für Brian der logischste Heimweg; er mußte einfach hoffen, daß die Logik ihn heute nicht im Stich ließ.
    Alan stieg aus, lehnte sich gegen den Kühler des Kombis und suchte in seiner Tasche nach einem Streifen Kaugummi. Er wickelte ihn gerade aus, als er, träge und fern in der warmen Luft, die Drei-Uhr-Glocke der Schule hörte.
    Er beschloß, sobald er mit Brian Rusk fertig war, mit Mr. Leland Gaunt aus Akron, Ohio, zu reden, obwohl er keine Verabredung mit ihm getroffen hatte. Und dann gelangte er ebenso plötzlich zu einem anderen Entschluß. Er würde zuerst das Justizministerium in Augusta anrufen und darum bitten, nachzusehen, ob gegen Gaunt etwas vorlag. Wenn dort nichts zu finden war, würden sie den Namen an den LAWS R & J Computer in Washington weitergeben, der, wie Alan fand, eine der wenigen guten Einrichtungen war, die die Nixon-Administration hinterlassen hatte.
    Jetzt kamen die

Weitere Kostenlose Bücher