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In einer kleinen Stad

In einer kleinen Stad

Titel: In einer kleinen Stad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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schuld. Mr. Lester Großkotz Pratt.«
    Ein dickliches Mädchen mit Brille und Zahnspange wendete sich von dem Pep Club-Poster ab, das sie betrachtet hatte, und warf einen neugierigen Blick auf Sally.
    »Was gibt es an mir zu sehen, Irvina?« fragte Sally.
    Irvina blinzelte. »Nichts, Miss Ratcliffe.«
    »Dann verschwinde und schau dir das irgendwo anders an«, fauchte Sally. »Die Schule ist bekanntlich aus.«
    Irvina eilte durch die Halle und warf mehrmals einen argwöhnischen Blick über die Schulter zurück.
    Sally öffnete die Tür zum Büro und ging hinein. Der Umschlag, den sie bei sich trug, hatte sich genau da befunden, wo er nach Mr. Gaunts Angaben liegen sollte – hinter den Mülltonnen neben der Tür zur Cafeteria. Sie hatte Mr. Jewetts Namen selbst darauf geschrieben.
    Sie warf schnell noch einen Blick über die Schulter, um sich zu vergewissern, daß die kleine Schlampe Alice Tanner nicht hereinkam. Dann öffnete sie die Tür zum inneren Büro, durchquerte es schnell und legte den steifen Umschlag auf Frank Jewetts Schreibtisch.
    Nun war da noch die andere Sache.
    Sie zog die oberste Schreibtischschublade auf und holte eine große Büroschere heraus. Dann bückte sie sich und zerrte an der untersten Schublade links. Sie war verschlossen. Mr. Gaunt hatte ihr gesagt, daß das der Fall sein könnte. Sally warf einen Blick in das äußere Büro, sah, daß es immer noch leer und die Tür zur Halle immer noch geschlossen war. Gut. Großartig. Sie rammte die Spitzen der Schere in den Spalt oberhalb der verschlossenen Schublade und hebelte sie kraftvoll hoch. Holz splitterte, und Sally spürte, wie ihre Brustwarzen auf merkwürdige, aber angenehme Weise steif wurden. Das machte irgendwie Spaß. Sie hatte ein bißchen Angst, aber es machte trotzdem Spaß.
    Sie setzte die Schere abermals an – diesmal drangen die Spitzen tiefer ein – und hebelte sie wieder hoch. Das Schloß zerbrach, die Schublade glitt auf ihren Laufrollen heraus und offenbarte, was sich in ihr befand. Vor Überraschung und Bestürzung sackte Sallys Kiefer herunter. Dann begann sie zu kichern – keuchende, unterdrückte Laute, die Aufschreien näher waren als Lachen.
    »Oh, Mr. Jewett! Was sind Sie doch für ein schlimmer Junge!«
    In der Schublade lag ein ganzer Stapel Zeitschriften; die obenauf liegende trug den Titel Naughty Boy . Das leicht verschwommene Titelbild zeigt einen etwa neunjährigen Jungen. Er trug einen Motorradhelm im Stil der fünfziger Jahre und sonst nichts.
    Sally griff in die Schublade und holte die Zeitschriften heraus – es waren etwa ein Dutzend, vielleicht mehr. Happy Kids. Nude Cuties. Blowing in the Wind. Bobby’s Farm World. Sie schlug eine auf und konnte kaum glauben, was sie sah. Wo kamen solche Dinge her? Sie war ganz sicher, daß sie nicht unten im Drugstore verkauft wurden, nicht einmal vom obersten Bord, über das Rev. Rose manchmal in der Kirche predigte, dem mit dem Schild, auf dem stand: NUR FÜR PERSONEN ÜBER 18.
    Eine Stimme, die sie sehr gut kannte, meldete sich plötzlich in ihrem Kopf zu Wort. Beeilen Sie sich , Sally . Die Sitzung ist gleich zu Ende, und Sie wollen doch schließlich nicht hier erwischt werden, oder?
    Und dann war da noch eine andere Stimme, eine Frauenstimme, eine, der Sally beinahe einen Namen geben konnte. Diese zweite Stimme zu hören war ungefähr so, als telefoniere man mit jemandem, und als spräche am anderen Ende der Leitung noch jemand im Hintergrund.
    Mehr als fair , sagte die zweite Stimme. Es scheint mir geradezu himmlisch.
    Sally schaltete die Stimme aus und tat, was Mr. Gaunt ihr aufgetragen hatte: sie verstreute die unanständigen Zeitschriften über Mr. Jewetts ganzes Büro. Dann legte sie die Schere wieder in die Schublade, verließ schnell den Raum und zog die Tür hinter sich zu. Sie öffnete die Tür des äußeren Büros und lugte hinaus. Niemand da – aber die Stimmen aus Zimmer 6 waren jetzt lauter, und Leute lachten. Sie waren im Begriff aufzubrechen; es war eine ungewöhnlich kurze Sitzung gewesen.
    Wie gut für Mr. Gaunt! dachte sie und glitt in die Halle hinaus. Sie hatte fast die Vordertür erreicht, als sie hörte, wie sie hinter ihr aus Zimmer 6 herauskamen. Sally schaute sich nicht um. Ihr fiel ein, daß sie in den letzten fünf Minuten überhaupt nicht an Mr. Lester Großkotz Pratt gedacht hatte, und das war wirklich gut. Sie dachte daran, nach Hause zu gehen und sich ein schönes Schaumbad einzulassen, mit ihrem wundervollen Splitter

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