In einer kleinen Stad
standen betroffen und stumm da und starrten in das Büro von Middle School-Direktor Frank Jewett. Eine Zeitschrift, die etwas kipplig auf der Kante des Besucherstuhls gelegen hatte, wurde von einem heißen Windhauch, der durch das halboffene Fenster hereinkam, umgeblättert und fiel dann auf den Boden. Saucy Young Guys versprach das Titelblatt.
Ein Streich, ja. Ich werde sagen, es war ein Streich. Aber werden sie mir glauben? Angenommen, die Schublade wurde aufgebrochen? Werden sie mir glauben, wenn das der Fall ist?
»Mrs. Tanner?« fragte eine Mädchenstimme hinter ihnen.
Alle drei – Jewett, Tanner und McGinley – fuhren schuldbewußt herum. Zwei Mädchen aus der neunten Klasse in den rot-weißen Kostümen der Cheerleader standen da. Alice Tanner und Brion McGinley bewegten sich fast simultan, um ihnen die Sicht auf Franks Büro zu nehmen (Frank Jewett selbst schien angewurzelt, in Stein verwandelt zu sein), aber sie bewegten sich ein ganz klein wenig zu spät. Die Mädchen rissen die Augen weit auf. Eines von ihnen – Darlene Vickery – schlug die Hände vor den kleinen Rosenknopsenmund und starrte Frank Jewett fassungslos an.
Wunderbar, dachte Frank. Morgen mittag wird jeder Schüler in dieser Schule es wissen. Und morgen abend weiß es die ganze Stadt.
»Ihr Mädchen geht wieder«, sagte Mrs. Tanner. »Irgend jemand hat Mr. Jewett einen gemeinen Streich gespielt – einen ganz gemeinen Streich -, und ihr laßt kein Wort darüber verlauten. Habt ihr verstanden?«
»Ja, Mrs. Tanner«, sagte Erin McAvoy, und drei Minuten später würde sie Donna Beaulieu, ihrer besten Freundin, erzählen, daß Mr. Jewetts Büro übersät war mit Fotos von halbwüchsigen Jungen, die schwere Metallarmbänder trugen und sonst fast nichts.
»Ja, Mrs. Tanner«, sagte Darlene Vickery; fünf Minuten später würde sie es ihrer besten Freundin, Natalie Priest, erzählen.
»Verschwindet«, sagte Brion McGinley. Er versuchte, seine Stimme munter klingen zu lassen, aber sie war noch immer verquollen vor Entsetzen. »Ab mit euch.«
Die beiden Mädchen ergriffen die Flucht, und ihre Cheerleader-Röcke umflatterten ihre stämmigen Knie.
Brion drehte sich langsam zu Frank um. »Ich denke...« setzte er an, aber Frank hörte nicht zu. Er ging in sein Büro, langsam, wie ein Mann in einem Traum. Er schloß die Tür, die in schwarzer Schrift die Aufschrift PRINCIPAL trug, und begann langsam, die Zeitschriften einzusammeln.
Warum gibst du ihnen nicht gleich ein schriftliches Geständnis? kreischte ein Teil seines Verstandes.
Er ignorierte die Stimme. Ein anderer Teil von ihm, die primitive Stimme des Überlebenswillens, meldete sich gleichfalls zu Wort und sagte ihm, daß er gerade jetzt am verletzlichsten war. Wenn er jetzt mit Alice oder Brion sprach, wenn er versuchte, das zu erklären, würde er sich selbst einen Strick daraus drehen.
Alice klopfte an die Tür. Frank ignorierte das Klopfen und setzte seine Traumwanderung durch das Büro fort, sammelte die Zeitschriften ein, die er sich im Laufe der letzten neun Jahre zugelegt hatte, wobei er eine nach der anderen bestellt und dann auf dem Postamt in Gate Falls abgeholt hatte, jedesmal ganz sicher, daß die Staatspolizei oder ein Team von Postinspektoren sich auf ihn stürzen würden wie eine Tonne Ziegelstein. Es war nie passiert. Aber jetzt – das.
Sie werden nicht glauben, daß sie dir gehören, sagte die primitive Stimme. Sie werden sich nicht gestatten , es zu glauben – das würde zu viele ihrer behaglichen Vorstellungen vom Kleinstadtleben zerstören. Sobald du dich selbst unter Kontrolle hast, wirst du imstande sei, die Sache aus der Welt zu schaffen. Aber – wer konnte ihm so etwas angetan haben? Wer wäre dazu imstande gewesen? (Frank kam nicht auf die Idee, sich selbst zu fragen, welcher wahnwitzige Drang ihn veranlaßt hatte, die Zeitschriften überhaupt hierher – ausgerechnet hierher – mitzubringen.)
Es gab nur einen Menschen, an den Frank Jewett denken konnte – den einen Mann, mit dem er sein Geheimleben geteilt hatte. George T. Nelson, Lehrer für Holzbearbeitung der High School. George T. Nelson, der hinter einem schroffen Macho-Äußeren verbarg, daß er schwul war. George T. Nelson, mit dem Frank Jewett einmal in Boston eine Party besucht hatte, eine Party, an der eine Menge von Männern in mittlerem Alter und eine kleine Gruppe unbekleideter Jungen teilgenommen hatte. Die Art von Party, die einen für den Rest seines Lebens ins Gefängnis bringen
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