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In einer kleinen Stad

In einer kleinen Stad

Titel: In einer kleinen Stad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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King, Sean? Weißt du das?«
    Sean sah Alan an, als wäre er schwachsinnig. »Elvis. Er ist The King.«
    »Elvis«, murmelte Alan. »Natürlich – wer sonst?«
    »Mein Vater soll kommen.«
    »Ich weiß, mein Junge. Nur noch ein paar Fragen, dann lasse ich dich in Ruhe. Dann schläfst du wieder, und wenn du aufwachst, ist dein Vater da.« Er hoffte es. »Sean, hat Brian gesagt, wer der Giftmann ist?«
    »Ja. Mr. Gaunt. Der Mann, dem der Laden gehört. Er ist der Giftmann.«
    Jetzt tat sein Verstand einen Satz zu Polly – Polly nach der Beerdigung, die sagte Wahrscheinlich liegt es daran, daß ich endlich den richtigen Arzt gefunden habe... Mr. Gaunt. Dr. Leland Gaunt.
    Er sah, wie sie ihm die kleine Silberkugel zeigte, die sie bei Needful Things gekauft hatte, und wie sie schützend die Hand darüber hielt, als er Anstalten machte, sie anzufassen. In diesem Augenblick hatte ein Ausdruck auf ihrem Gesicht gelegen, der überhaupt nicht zu Polly paßte. Verkniffener Argwohn und Besitzgier. Und dann später, mit einer schneidenden, erschütterten, von Tränen erstickten Stimme, die gleichfalls überhaupt nicht zu ihr paßte: Es tut weh, herausfinden zu müssen, daß das Gesicht, das man zu lieben glaubte, nur eine Maske ist... Wie konntest du mich so hintergehen? Wie konntest du?
    »Was hast du ihr erzählt?« murmelte er. Ihm war nicht bewußt, daß er die Überdecke des Krankenhausbettes ergriffen hatte und sie langsam in seine geballte Faust hineinknüllte. »Was hast du ihr erzählt? Und wie zum Teufel hast du sie dazu gebracht, es zu glauben?«
    »Mr. Sheriff? Sind Sie okay?«
    Alan zwang sich, seine Faust zu öffnen. »Ja – alles in Ordnung. Du bist ganz sicher, daß Brian Mr. Gaunt gesagt hat, Sean?«
    »Ja.«
    »Danke«, sagte Alan. Er beugte sich über das Gitter, ergriff Seans Hand und küßte seine kühle, blasse Wange. »Danke, daß du mir das alles erzählt hast.« Er gab die Hand des Jungen frei und stand auf.
    In der ganzen letzten Woche hatte ein Punkt auf seiner Tagesordnung gestanden, der nicht erledigt worden war – ein Höflichkeitsbesuch bei Castle Rocks neuestem Geschäftsmann. Keine große Sache; lediglich ein freundliches Guten Tag, willkommen in der Stadt, und eine kurze Information für den Fall, daß es Probleme geben sollte. Er hatte vorgehabt, es zu tun, war einmal sogar vorbeigekommen, aber es war einfach unterblieben. Und heute, da Pollys Verhalten ihn veranlaßt hatte, zu fragen, ob Mr. Gaunt wirklich ein ehrlicher Geschäftsmann war, war die Scheiße wirklich übergekocht, und nun saß er hier, mehr als zwanzig Meilen von Mr. Gaunt entfernt.
    Hält er mich von sich fern? Hat er mich die ganze Zeit von sich ferngehalten?
    Der Gedanke hätte lächerlich erscheinen müssen, aber in diesem stillen, schattigen Zimmer schien er überhaupt nicht lächerlich zu sein.
    Er mußte nach Castle Rock zurückfahren. Er mußte zurückfahren, so schnell er konnte.
    »Mr. Sheriff?«
    Alan schaute auf ihn herab.
    »Brian hat noch etwas gesagt«, sagte Sean.
    »So?« fragte Alan. »Was war das, Sean?«
    »Brian hat gesagt, Mr. Gaunt ist überhaupt kein Mann.«

10
     
    Alan ging, so leise er konnte, den Flur entlang auf die mit EXIT gekennzeichnete Tür zu und erwartete jeden Augenblick, von Miss Hendries Ablösung angerufen und zum Stehenbleiben genötigt zu werden. Doch der einzige Mensch, der ihn ansprach, war ein kleines Mädchen. Es stand an der Schwelle seines Zimmers; das blonde Haar war zu Zöpfen geflochten, die auf den Schultern seines verblichenen rosa Nachthemdes lagen. Es hielt eine Decke in der Hand – seine Lieblingsdecke, dem ausgefransten, abgenutzten Aussehen nach zu urteilen. Seine Füße waren nackt, die Schleifen an den Enden der Zöpfe saßen schief, und die Augen waren riesig in dem hageren Gesicht. Es war ein Gesicht, das mehr über Schmerzen wußte, als das Gesicht eines Kindes wissen sollte.
    »Du hast eine Kanone«, stellte das Mädchen fest.
    »Ja.«
    »Mein Dad hat auch eine Kanone.«
    »Wirklich?«
    »Ja. Sie ist größer als deine. Sie ist größer als die ganze Welt. Bist du ein Butzemann?«
    »Nein, Kleines«, sagte er und dachte: Ich glaube, heute abend ist der Butzemann vielleicht in meiner Stadt.
    Er öffnete die Tür am Ende des Flurs, ging die Treppe hinunter und schob sich durch eine weitere Tür in das späte Zwielicht hinaus, das so schwül war wie an einem Abend mitten im Sommer. Er eilte, nahezu rennend, über den Parkplatz. Im Westen, aus der Richtung, in der

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