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In einer kleinen Stad

In einer kleinen Stad

Titel: In einer kleinen Stad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Stock, an dem mit einer rostigen Schraube eine primitive Zebco-Rolle befestigt war.
    »Jemand hat sie gestohlen!« heulte Norris. Seine gesamte bittere Eifersucht und paranoide Besitzgier kehrten schlagartig zurück, und ihm war, als müßte er auf die Straße hinausstürzen, um den Dieb zu finden. Er mußte sie alle umbringen, sämtliche Leute in der Stadt, falls das erforderlich war, um den Bösewicht zu erwischen, der das getan hatte. »JEMAND HAT MEINE BAZUN-RUTE GESTOHLEN!« heulte er abermals und schwankte auf dem Schemel.
    Nein, entgegnete die zornige Stimme. Sie ist so, wie sie immer gewesen ist. Alles, was gestohlen wurde, sind deine Scheuklappen – die du dir selbst aufgesetzt hast, aus freien Stücken.
    »NEIN!« Monströse Hände schienen sich an die Seiten von Norris’ Kopf gelegt zu haben; jetzt begannen sie zuzudrükken. »Nein, nein, nein!«
    Aber der Blitz zuckte und zeigte ihm abermals die schmutzige Bambusstange an der Stelle, an der sich nur Augenblicke zuvor die Bazun-Rute befunden hatte. Er hatte sie dorthin gestellt, damit sie der letzte Gegenstand war, den er sah, wenn er den Schemel umstieß. Niemand war hier drinnen gewesen; niemand hatte sie bewegt; infolgedessen mußte die Stimme recht haben.
    Sie ist so, wie sie immer gewesen ist, beharrte die zornige Stimme. Die einzige Frage ist die: willst du deshalb etwas unternehmen, oder willst du davonrennen in die Dunkelheit?
    Er begann, nach der Schlinge zu tasten, und in diesem Augenblick spürte er, daß er nicht allein im Schuppen war. Ihm war, als röche er Tabak und Kaffee und ein schwaches Kölnisch Wasser – Southern Gentleman; vielleicht die Gerüche von Mr. Gaunt.
    Entweder verlor der das Gleichgewicht, oder wütende, unsichtbare Hände stießen ihn vom Schemel. Als er nach außen schwankte, stieß sein Fuß dagegen und kippte ihn um.
    Norris’ Aufschrei wurde abgewürgt, als sich der Gleitknoten festzog. Eine flegelnde Hand fand den Deckenbalken und bekam ihn zu fassen. Er zog sich ein Stück hoch, verschaffte sich etwas Luft. Die andere Hand zerrte an der Schlinge. Er spürte, wie Hanf in seine Kehle stach.
    Nein ist richtig! hörte er Mr. Gaunt wütend rufen. Nein ist genau richtig, du verdammter Betrüger!
    Er war nicht da, nicht wirklich; Norris wußte, daß er nicht gestoßen worden war. Dennoch war er sicher, daß ein Teil von Mr. Gaunt trotzdem hier war – und Mr. Gaunt war nicht erfreut, weil dies nicht so ging, wie es gehen sollte. Die Genasführten sollten nichts sehen. Jedenfalls so lange nicht, bis es zu spät war, um noch eine Rolle zu spielen.
    Er riß und zerrte an der Schlinge, aber es war, als wäre der Gleitknoten in Beton getaucht. Der Arm, der ihn hielt, zitterte heftig. Seine Füße schwangen fast einen Meter über dem Boden. Viel länger konnte er diesen halben Klimmzug nicht aushalten. Es war erstaunlich, daß er es überhaupt geschafft hatte, das Seil so lange schlaff zu halten.
    Endlich gelang es ihm, zwei seiner Finger unter die Schlinge zu schieben und sie teilweise aufzuziehen. Er zog den Kopf heraus, genau in dem Augenblick, in dem ein lähmender Krampf den Arm befiel, der ihn hochhielt. Er landete als schluchzender Haufen auf dem Boden, preßte den verkrampften Arm an die Brust. Ein Blitz flammte auf und verwandelte den Speichel auf seinen Zähnen in winzige purpurne Lichtbögen. Dann wurde er ohnmächtig – für wie lange, wußte er nicht, aber als sein Verstand allmählich zum Bewußtsein zurückkehrte, prasselte nach wie vor der Regen hernieder, und Blitze zuckten noch immer über den Himmel.
    Er kam taumelnd auf die Beine und ging, immer noch seinen Arm haltend, dorthin, wo die Angelrute stand. Der Krampf lockerte sich allmählich, aber Norris keuchte noch immer. Er ergriff die Rute und betrachtete sie genau und wütend.
    Bambus. Schmutziger, dreckiger Bambus. Sie war nicht alles wert; sie war nichts wert.
    Norris’ magere Brust sog Luft ein, und er schrie auf vor Scham und Wut. Im gleichen Augenblick hob er ein Knie an und zerbrach die Angelrute darüber. Er legte die Stücke aufeinander und brach sie nochmals durch. Sie fühlten sich widerwärtig – fast wie von Maden wimmelnd – an in seinen Händen. Sie fühlten sich betrügerisch an. Er warf sie beiseite, und sie landeten wie wertloses Brennholz neben dem umgestürzten Schemel.
    »So!« schrie er. »So! SO! SO!«
    Norris’ Gedanken kehrten zu Mr. Gaunt zurück. Mr. Gaunt mit seinem silbrigen Haar und seinem Tweed und seinem hungrigen

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