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In einer kleinen Stad

In einer kleinen Stad

Titel: In einer kleinen Stad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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konnte hören, wie der Regen, jetzt ziemlich heftig, an die Scheibe seines Schlafzimmerfensters prasselte, gepeitscht von großen, heulenden Windböen. Es hörte sich fast an wie Hagel.
    Meine Karte. Meine Sandy Koufax-Karte ist weg.
    Sie war nicht weg. Er wußte, daß sie nicht weg war, aber er wußte auch, daß er nicht wieder einschlafen konnte, bevor er sich vergewissert hatte, daß sie nach wie vor da war, in dem Ringbinder, in dem er seine wachsende Sammlung von Topps-Karten aus dem Jahre 1956 aufbewahrte. Er hatte nachgesehen, bevor er gestern morgen zur Schule ging, hatte es wieder getan, als er nach Hause kam, und gestern abend, nach dem Abendessen, hatte er das Baseballtraining mit Stanley Dawson abgebrochen, um ein weiteres Mal nachzusehen. Er hatte Stanley gesagt, er müsse auf die Toilette. Und bevor er ins Bett kroch und das Licht ausmachte, hatte er noch einen letzten Blick darauf geworfen. Ihm war bewußt, daß die Karte zu einer Art Besessenheit geworden war, aber dieses Bewußtsein änderte nichts.
    Er sprang aus dem Bett, fast ohne zu spüren, daß die kalte Luft auf seinem Körper eine Gänsehaut hervorrief und seinen Penis erschlaffen ließ. Er ging leise zu seiner Kommode und ließ die Form seines eigenen Körpers zurück, die der Schweiß auf dem Laken eingezeichnet hatte. Der Ringbinder lang auf der Kommode in einem Flecken aus weißem, von der Laterne vor dem Fenster einfallenden Licht.
    Er nahm ihn herunter, schlug ihn auf und durchblätterte hastig die Folien aus durchsichtigem Kunststoff mit den Taschen, in die man die Karten steckte. Er überging Mel Parnett, Whitey Ford und Warren Spahn – Schätze, auf die er einst mächtig stolz gewesen war -, fast ohne sie eines Blickes zu würdigen. Er durchlebte einen Moment entsetzlicher Panik, als er bei den Seiten am hinteren Ende des Binders angekommen war, denen, die noch leer waren, ohne Sandy Koufax gesehen zu haben. Dann begriff er, daß er in seiner Hast mehrere Seiten gleichzeitig umgeblättert hatte. Er ging zurück und ja, da war es – dieses schmale Gesicht, diese leicht lächelnden entschlossenen Augen, die unter dem Schirm seiner Mütze hervorschauten.
    Für meinen guten Freund Brian, mit den besten Wünschen, Sandy Koufax.
    Seine Finger fuhren über die schrägen Linien des Autogramms. Seine Lippen bewegten sich. Er war wieder beruhigt – oder fast beruhigt. Die Karte gehörte noch nicht richtig ihm. Dies war nur eine Art – Probelauf. Da war etwas, das er noch tun mußte, bevor sie ihm wirklich gehörte. Brian war nicht völlig sicher, was das war, aber er wußte, daß es irgendwie mit dem Traum zusammenhing, aus dem er gerade erwacht war, und er zweifelte nicht daran, daß er es wissen würde, wenn die Zeit
    (morgen? im Laufe des heutigen Tages?)
    gekommen war.
    Er klappte den Ringbinder zu – auf der mit Klebeband auf den Einband geklebten Karteikarte standen in säuberlichen Druckbuchstaben die Worte BRIANS SAMMLUNG BITTE NICHT BERÜHREN! – und legte ihn wieder auf die Kommode. Dann kehrte er ins Bett zurück.
    Die Sache, daß er die Sandy Koufax-Karte besaß, hatte nur einen Haken. Er hatte vorgehabt, sie seinem Vater zu zeigen. Auf dem Heimweg von Needful Things hatte er sich vorgestellt, wie es sein würde, wenn er sie ihm zeigte. Er, Brian, gespielt beiläufig: Hey, Dad, ich habe gerade in dem neuen Laden eine ’56er erstanden. Willst du sie sehen? Sein Dad würde sagen, okay, nicht sonderlich interessiert, er würde nur in Brians Zimmer mitkommen, um dem Jungen einen Gefallen zu tun – aber wie seine Augen aufleuchten würden, wenn er sah, welches Glück Brian gehabt hatte! Und wenn er die Widmung sah...!
    Ja, er würde staunen und entzückt sein, ganz bestimmt. Er würde Brian wahrscheinlich auf den Rücken klopfen, und sie würden beide eine Hand heben und die Handflächen zusammenklatschen lassen.
    Aber was kam danach?
    Dad würde Fragen stellen. Das war es, was danach kommen würde. Und genau das war das Problem. Sein Vater würde erstens wissen wollen, wo er die Karte gekauft hatte, und zweitens, woher er das Geld hatte, um eine solche Karte zu kaufen, die a) selten, b) in hervorragendem Zustand und c) signiert war. Die gedruckte Unterschrift auf der Karte lautete Sanford Koufax, und das war der richtige Name des berühmten Baseballspielers. Handschriftlich unterschrieben hatte er jedoch mit Sandy Koufax, und in der seltsamen und manchmal recht kostspieligen Welt der Sammler von Baseballkarten bedeutet das,

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