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In einer kleinen Stad

In einer kleinen Stad

Titel: In einer kleinen Stad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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ihr, Polly. Das ist alles. Ehrlich und nett.«
    »Viele Leute sind nett zu ihr«, sagte Polly. »Alan gibt sich alle Mühe, liebenswürdig zu sein, und trotzdem hat sie Angst vor ihm.«
    »Unser Mr. Gaunt hat eine besondere Art, nett zu sein«, sagte Rosalie einfach, und wie zum Beweis dafür sahen sie, wie Nettie nach dem Türknauf griff und ihn drehte. Sie öffnete die Tür, und dann stand sie, ihren Regenschirm umklammernd, auf dem Gehsteig, als wäre der seichte Brunnen ihrer Entschlossenheit bereits wieder gänzlich versiegt. Polly war plötzlich ganz sicher, daß Nettie nun die Tür wieder schließen und davoneilen würde. Ihre Hände ballten sich, Arthritis oder nicht, zu lockeren Fäusten.
    Los, Nettie. Geh hinein. Riskiere es. Kehr in die Welt zurück.
    Dann lächelte Nettie, offenbar eine Reaktion auf etwas, das weder Polly noch Rosalie sehen konnten. Sie ließ den Schirm sinken, den sie bisher vor der Brust gehalten hatte – und ging hinein.
    Die Tür fiel hinter ihr ins Schloß.
    Polly drehte sich zu Rosalie um und war gerührt, als sie Tränen in ihren Augen sah. Die beiden Frauen sahen sich einen Moment lang an, dann umarmten sie sich lachend.
    »Ein weiter Weg, Nettie!« sagte Rosalie.
    »Zwei Punkte für unsere Mannschaft«, pflichtete Polly ihr bei, und die Sonne brach durch die Wolken in ihrem Kopf, gut zwei Stunden bevor sie es schließlich auch am Himmel über Castle Rock tun würde.

2
     
    Fünfzehn Minuten später saß Nettie Cobb auf einem der hochlehnigen Polsterstühle, die Mr. Gaunt an einer Wand seines Ladens aufgestellt hatte. Ihr Schirm und ihre Handtasche lagen vergessen neben ihr auf dem Fußboden. Gaunt saß dicht bei ihr, seine Hände hielten die ihren, seine scharfen Augen blickten in ihre unsicheren. Auf einer der Vitrinen stand ein Buntglas-Lampenschirm neben Polly Chalmers’ Tortenbehälter. Der Lampenschirm war ein in bescheidenem Maße prachtvolles Exemplar und hätte in einem Antiquitätengeschäft in Boston dreihundert Dollar oder mehr gekostet; dennoch hatte ihn Nettie Cobb gerade für zehn Dollar und vierzig Cents erstanden, die gesamte Barschaft, die sie in ihrer Tasche gehabt hatte, als sie den Laden betrat. Doch schön oder nicht, im Augenblick war er ebenso vergessen wir ihr Schirm.
    »Eine Tat«, sagte sie jetzt. Sie hörte sich an wie eine Frau, die im Schlaf spricht. Sie bewegte leicht die Hände, wie um die von Mr. Gaunt fester zu ergreifen. Er erwiderte den Griff, und auf ihrem Gesicht erschien ein kleines Freudenlächeln.
    »So ist es. Es ist im Grunde nur eine Kleinigkeit. Sie kennen doch Mr. Keeton?«
    »Oh ja«, sagte Nettie. »Ronald und sein Sohn Danforth. Ich kenne sie beide. Welchen meinen Sie?«
    »Den jüngeren«, sagte Mr. Gaunt und streichelte ihre Handflächen mit seinen langen Daumen. Die Nägel waren leicht gelblich und ziemlich lang. »Den Vorsitzenden des Stadtrats.«
    »Sie nennen ihn Buster hinter seinem Rücken«, sagte Nettie und kicherte. Es war ein unschönes Geräusch, ein wenig hysterisch, aber Mr. Gaunt schien nicht beunruhigt zu sein. Im Gegenteil – das Geräusch von Netties Lachen schien ihm zu gefallen. »Das tun sie, seit er ein kleiner Junge war.«
    »Ich möchte, daß Sie das, was Sie mir für den Lampenschirm noch schuldig sind, bezahlen, indem Sie Buster einen Streich spielen.«
    »Einen Streich?« Nettie schaute vage bestürzt drein.
    Gaunt lächelte. »Etwas ganz Harmloses. Und er wird nie erfahren, daß Sie es waren. Er wird glauben, es wäre jemand anders gewesen.«
    »Oh.« Nettie schaute an Mr. Gaunt vorbei auf den Buntglas-Lampenschirm, und einen Augenblick lang schärfte etwas ihren Blick – Besitzgier vielleicht, möglicherweise auch nur simples Verlangen und Freude. »Also...«
    »Keine Sorge, Nettie. Niemand wird es je erfahren – und Sie haben den Lampenschirm.«
    Nettie sprach langsam und nachdenklich. »Mein Mann hat mir eine Menge Streiche gespielt. Vielleicht macht es Spaß, einmal jemand anderem einen Streich zu spielen.« Sie sah wieder ihn an, und jetzt war das, was ihren Blick schärfte, Bestürzung. »Wenn es ihm nicht schadet . Ich will ihm nicht weh tun . Wissen Sie, ich habe meinem Mann weh getan.«
    »Es wird ihm nicht weh tun«, sagte Mr. Gaunt sanft und streichelte Netties Hände. »Es wird ihm kein bißchen weh tun. Ich möchte nur, daß Sie etwas in sein Haus bringen.«
    »Wie soll ich in Busters Haus...«
    »Hier.«
    Er legte ihr etwas in die Hand. Einen Schlüssel. Sie schloß die Hand

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