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In einer kleinen Stad

In einer kleinen Stad

Titel: In einer kleinen Stad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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tröpfelten durch seine Finger, als er sich den Wäscheleinen näherte.
    Die den Beeten am nächsten gespannte Wäscheleine war auf ganzer Länge mit Laken behängt. Sie waren noch feucht, trockneten aber rasch in der frischen Brise. Sie erzeugten träge flappende Geräusche. Sie waren strahlend jungfräulich weiß.
    Nun mach schon , flüsterte Mr. Gaunts Stimme in seinem Kopf. Leg los, Brian – genau wie Sandy Koufax. Leg los!
    Brian hob die Hände so über die Schultern, daß die Handflächen himmelwärts zeigten. Er war im Grunde nicht überrascht, daß sein Penis sich wieder regte, genau wie in seinem Traum. Er war froh, daß er nicht das Hasenpanier ergriffen hatte. Dies würde Spaß machen.
    Dann brachte er die Hände kraftvoll nach vorn. Der Schlamm flog in langen, braunen Klumpen los, die sich auffächerten, bevor sie auf die wogenden Laken trafen und sie in zähflüssigen Parabeln bespritzten.
    Er kehrte zu den Beeten zurück, holte zwei weitere Handvoll Schlamm, warf sie auf die Laken, ging wieder hinüber, holte mehr und warf abermals. Eine Art Wahnsinn überkam ihn. Er wanderte unablässig hin und her, holte zuerst den Schlamm und schleuderte ihn dann auf die Laken.
    Er hätte den ganzen Nachmittag so weitermachen können, wenn nicht jemand gerufen hätte. Zuerst dachte er, jemand riefe ihn . Er zog die Schultern ein, und ihm entfuhr ein erschrockenes kleines Quieken. Dann wurde ihm klar, daß es nur Mrs. Haverhill war, die auf der anderen Seite des Zauns ihren Hund rief.
    Dennoch – er mußte von hier verschwinden. Und zwar schnell.
    Er blieb trotzdem noch einen Moment stehen, betrachtete, was er getan hatte, und verspürte ein kurzes Aufflackern von Unbehagen und Scham.
    Die Laken hatten den größten Teil der Kleidungsstücke geschützt, waren aber selbst mit Schlamm bedeckt. Nur ein paar weiße Stellen ließen erkennen, welche Farbe sie ursprünglich gehabt hatten.
    Brian betrachtete seine Hände, die schlammverkrustet waren. Dann eilte er hinüber zur Hausecke, wo sich ein Wasserhahn befand. Das Wasser war noch nicht abgestellt; als er den Hahn aufdrehte, schoß ein kalter Strahl heraus. Er hielt seine Hände hinein und rieb sie heftig gegeneinander. Er wusch sie, bis der ganze Schlamm herunter war, auch der unter seinen Fingernägeln, ohne sich um die zunehmende Taubheit zu kümmern. Er hielt sogar seine Hemdmanschetten unter den Hahn.
    Er drehte das Wasser ab, kehrte zu seinem Fahrrad zurück, klappte den Ständer hoch und schob das Rad die Auffahrt hinunter. Er durchlebte einen sehr schlimmen Moment, als er einen kleinen, gelben Kompaktwagen kommen sah – aber es war ein Civic, kein Yugo. Der Wagen fuhr vorbei, ohne die Fahrt zu verlangsamen und ohne den kleinen Jungen mit den roten Händen zu bemerken, der wie erstarrt neben seinem Fahrrad auf der Auffahrt der Jerzycks stand, den kleinen Jungen, dessen Gesicht fast einer Reklametafel glich, auf der nur ein einziges Wort stand – SCHULDIG!
    Als der Wagen verschwunden war, stieg Brian auf das Fahrrad und fuhr los wie von Furien gehetzt. Er hielt nicht an, bis er die Auffahrt zu seinem Elternhaus erreicht hatte. Inzwischen hatte sich die Taubheit in seinen Händen gegeben, aber sie juckten und schmerzten – und sie waren immer noch rot.
    Als er eintrat, rief seine Mutter aus dem Wohnzimmer: »Bist du das, Brian?«
    »Ja, Mam.« Was er im Hintergarten der Jerzycks getan hatte, kam ihm bereits jetzt vor wie etwas, das er vielleicht nur geträumt hatte. Gewiß konnte es sich bei dem Jungen, der jetzt in dieser sonnigen, ganz normalen Küche stand, dem Jungen, der jetzt zum Kühlschrank ging und die Milch herausholte, nicht um den gleichen Jungen handeln wie den, der seine Hände bis zu den Handgelenken in den Schlamm in Wilma Jerzycks Garten gestoßen und dann diesen Schlamm wieder und wieder auf Wilma Jerzycks saubere Laken geschleudert hatte.
    Ganz gewiß nicht.
    Er goß sich ein Glas Milch ein und betrachtete dabei seine Hände. Sie waren sauber. Rot, aber sauber. Er stellte die Milch wieder in den Kühlschrank. Sein Herz hatte zu seinem normalen Rhythmus zurückgefunden.
    »Hattest du einen guten Tag in der Schule, Brian?« flatterte die Stimme seiner Mutter herüber.
    »Er war okay.«
    »Willst du hereinkommen und mit mir fernsehen? Santa Barbara fängt bald an.«
    »Gern«, sagte er. »Aber zuerst gehe ich ein paar Minuten nach oben.«
    »Laß bloß kein Milchglas oben stehen! Die Milch wird sauer und stinkt und ist im Geschirrspüler nicht

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