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In einer kleinen Stad

In einer kleinen Stad

Titel: In einer kleinen Stad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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wogte, ihre Beine verspannten sich, lockerten sich, verspannten sich, lockerten sich. Ihr Haar hatte seine Schönheitssalon-Locken eingebüßt und lag wie ein nicht gerade reizvoller Helm um ihren Kopf. Von ihrem Doppelkinn troff nicht weniger Schweiß, als Elvis vergossen hatte, während er bei seinen letzten paar Konzerten auf der Bühne herumwirbelte.
    »Oh!« schrie Myra und zitterte dabei wie eine Portion Götterspeise auf einem Teller. »Ooooh! Oooooooh, mein Gott! Ooooooo-ooooh, mein Goooooott! OOOOOHHH...«
    Mr. Gaunt ergriff gelangweilt mit Daumen und Zeigefinger die Bügelfalte seiner dunklen Hose und schüttelte sie, bis sie ihre vorherige Rasiermesserschärfe zurückerlangte. Dann beugte er sich vor und nahm Myra das Foto aus den Händen. Sofort riß sie die Augen auf, die voll waren von Fassungslosigkeit. Sie wollte nach dem Foto greifen, aber es befand sich bereits außerhalb ihrer Reichweite. Sie machte Anstalten, aufzustehen.
    »Sitzenbleiben«, sagte Mr. Gaunt.
    Myra blieb, wo sie war, als wäre sie im Akt des Aufstehens in Stein verwandelt worden.
    »Wenn Sie dieses Foto jemals wiedersehen wollen, Myra, dann bleiben Sie sitzen.«
    Sie setzte sich wieder hin und starrte ihn mit benommener Agonie an. Große Schweißflecke breiteten sich unter ihren Armen und an der Seite ihrer Brüste aus.
    »Bitte«, sagte sie. Das Wort kam als Krächzen heraus, so staubtrocken, daß es einem Windstoß in der Wüste glich. Sie streckte die Hände aus.
    »Nennen Sie mir einen Preis«, forderte Mr. Gaunt sie auf. Sie dachte nach. Ihre Augen rollten in ihrem verschwitztem Gesicht. Ihr Adamsapfel hüpfte auf und ab.
    »Vierzig Dollar!« rief sie.
    Er lachte und schüttelte den Kopf.
    »Fünfzig!«
    »Lächerlich. Ihnen scheint an diesem Foto nicht sonderlich viel zu liegen, Myra.«
    »Doch!« Aus ihren Augenwinkeln begannen Tränen zu sickern. Sie liefen an ihren Wangen herunter und vermischten sich mit dem Schweiß. »Doch, ich möchte es haben!«
    »Na schön«, sagte er. »Sie möchten es haben. Ich akzeptiere die Tatsache, daß Sie es haben möchten. Aber brauchen Sie es, Myra? Brauchen Sie es wirklich?«
    »Sechzig! Das ist alles, was ich habe. Bis auf den letzten Heller!«
    »Myra, haben Sie den Eindruck, daß ich ein Kind bin?«
    »Nein...«
    »So scheint es aber. Ich bin ein alter Mann – älter, als Sie glauben würden -, aber ich habe mich gut gehalten, wenn ich das von mir selbst sagen darf. Trotzdem scheint mir, daß Sie mich für ein Kind halten, ein Kind, dem man einreden kann, eine Frau, die in einem brandneuen Zweifamilienhaus weniger als drei Blocks von Castle View entfernt lebt, besäße nicht mehr als sechzig Dollar.«
    »Sie verstehen das nicht! Mein Mann...«
    Mr. Gaunt erhob sich; das Foto hielt er nach wie vor in der Hand. Der lächelnde Mann, der beiseitegetreten war, um sie einzulassen, war aus dem Raum verschwunden. »Sie hatten keine Verabredung, Myra, nicht wahr? Nein. Ich habe Sie aus reiner Herzensgüte eingelassen. Aber jetzt muß ich Sie leider bitten, wieder zu gehen.«
    »Siebzig! Siebzig Dollar!«
    »Sie beleidigen meine Intelligenz. Bitte, gehen Sie.«
    Myra fiel vor ihm auf die Knie. Sie weinte in heiseren, panikerfüllten Schluchzern. Sie umklammerte seine Waden, während sie sich vor ihm erniedrigte. »Bitte, bitte, Mr. Gaunt. Ich muß dieses Foto haben. Ich muß einfach. Es macht – Sie können sich gar nicht vorstellen, was es macht!«
    Mr. Gaunt betrachtete das Foto von Elvis, und ganz kurz erschien ein Ausdruck des Abscheus auf seinem Gesicht.
    »Ich glaube nicht, daß ich das möchte«, sagte er. »Es sah überaus – schweißig aus.«
    »Aber wenn es mehr kostet als siebzig Dollar, dann muß ich einen Scheck ausschreiben. Chuck würde es merken. Er würde wissen wollen, wofür ich das Geld ausgegeben habe. Und wenn ich es ihm sagte, dann würde er – dann würde er...«
    »Das«, sagte Mr. Gaunt, »ist nicht mein Problem. Ich bin Ladenbesitzer, kein Eheberater.« Er blickte auf sie herab, redete in ihr verschwitztes Haar hinein. »Ich bin sicher, daß jemand anders – Mrs. Rusk zum Beispiel – imstande sein wird, sich dieses ziemlich einmalige Porträt des verstorbenen Mr. Presley zu leisten.«
    Bei der Erwähnung von Cora fuhr Myras Kopf hoch. Ihre Augen waren eingesunkene, glitzernde Punkte in dunklen, braunen Höhlen. Ihre Zähne waren gebleckt. In diesem Augenblick sah sie aus, als hätte sie den Verstand verloren.
    »Sie würden es an sie verkaufen!« zischte

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