In einer kleinen Stad
den Schlüssel wieder ins Schloß und drehte ihn; dann versuchte sie, die Tür zu öffnen. Sie war fest verriegelt, bombenfest, und ihr war plötzlich zumute, als wäre ihr ein großer Felsbrocken vom Herzen geglitten. Sie versuchte abermals, die Tür zu öffnen, nickte beifällig und ließ den Schlüssel in die Tasche ihres Hauskleides gleiten. Wenn sie zu Polly ging, würde sie ihn sich um den Hals hängen. Das würde sie als allererstes tun.
»So!« erklärte sie Raider, der begonnen hatte, mit dem Schwanz zu wedeln. Vielleicht spürte er, daß die Krise vorüber war. »Das wäre erledigt, mein Junge, und jetzt muß ich zur Arbeit! Es wird höchste Zeit!«
Als sie ihren Mantel anzog, begann das Telefon zu läuten. Nettie tat zwei Schritte darauf zu, dann hielt sie inne.
Raider gab einen kurzen, ernsten Kläffer von sich und sah sie an. Weißt du denn nicht, was du zu tun hast, wenn das Telefon läutet? fragten seine Augen. Sogar ich weiß das, und dabei bin ich nur ein Hund.
»Ich tue es nicht«, sagte Nettie.
Ich weiß, was Sie mir angetan haben, Sie verrückte Ziege, ich weiß, was Sie mir angetan haben, ich weiß, was Sie mir angetan haben, und ich – werde es – Ihnen – HEIMZAHLEN!
»Ich nehme den Hörer nicht ab. Ich gehe zur Arbeit. Sie ist diejenige, die verrückt ist, nicht ich. Ich habe ihr überhaupt nichts angetan! Überhaupt nichts!«
Raider bellte zustimmend.
Das Telefon hörte auf zu läuten.
Nettie entspannte sich ein wenig – aber ihr Herz klopfte noch immer heftig.
»Sei schön brav«, befahl sie Raider und streichelte ihn. »Ich komme später zurück, weil ich später anfange. Aber ich liebe dich, und wenn du daran denkst, wirst du den ganzen Tag über ein braves Hündchen sein.«
Das war eine Verabschiedungs-Litanei, die Raider wohlbekannt war, und er wedelte mit dem Schwanz. Nettie öffnete die Haustür und lugte in beide Richtungen, bevor sie hinaustrat. Sie hatte einen bösen Moment, als sie etwas leuchtend Gelbes aufblitzen sah, aber es war nicht das Auto der verrückten Polin; der Pollard-Junge hatte sein Fisher-Price-Dreirad auf dem Gehsteig stehengelassen, das war alles. Nettie benutzte ihren Hausschlüssel, um die Tür hinter sich abzuschließen, dann wanderte sie zur Hinterfront des Hauses, um sich zu vergewissern, daß auch die Schuppentür abgeschlossen war. Dann machte sie sich auf den Weg zu Pollys Haus; ihre Handtasche hing an ihrem Arm, und ihre Augen hielten Ausschau nach dem Auto der verrückten Polin (sie versuchte, sich zu entscheiden, ob sie sich, wenn sie es sah, hinter einer Hecke verstecken oder einfach stehenbleiben sollte). Sie hatte fast das Ende des Blocks erreicht, als ihr einfiel, daß sie die Vordertür nicht so gründlich überprüft hatte, wie sie es eigentlich hätte tun müssen. Sie schaute nervös auf die Uhr, dann kehrte sie um. Sie überprüfte die Haustür – sie war fest verschlossen. Nettie seufzte erleichtert, dann beschloß sie, sicherheitshalber auch noch das Schloß an der Tür des Holzschuppens zu überprüfen.
»Vorsicht ist die Mutter der Weisheit«, murmelte sie und ging zur Rückseite des Hauses.
Ihre Hand erstarrte, als sie gerade die Klinke der Schuppentür ergreifen wollte.
Drinnen läutete abermals das Telefon.
»Sie ist verrückt«, stöhnte Nettie. »Ich habe ihr überhaupt nichts angetan!«
Die Schuppentür war verschlossen, aber sie blieb vor ihr stehen, bis das Telefon verstummt war. Dann machte sie sich wieder auf den Weg zur Arbeit.
4
Diesmal war sie fast zwei Blocks weit gegangen, bevor der Gedanke, daß sie die Haustür vielleicht doch nicht verschlossen hätte, an ihr zu nagen begann. Sie wußte, daß sie es getan hatte, fürchtete aber, daß sie es vielleicht doch nicht getan hatte.
Sie stand neben dem blauen Briefkasten an der Ecke von Ford Street und Deaconess Way und wußte nicht, was sie tun sollte. Sie hatte fast beschlossen, ihren Weg fortzusetzen, als sie sah, wie ein gelber Wagen einen Block weiter über die Kreuzung fuhr. Es war nicht der Wagen der verrückten Polin, es war ein Ford, aber sie dachte, es könnte ein böses Omen sein. Sie eilte zu ihrem Haus zurück und überprüfte abermals beide Türen. Sie waren verschlossen. Sie war bis zur Gartenpforte gekommen, als ihr einfiel, daß sie auch die Kleiderschranktür noch einmal überprüfen und sich vergewissern mußte, daß sie gleichfalls verschlossen war.
Sie wußte, daß sie verschlossen war, fürchtete aber, daß sie es vielleicht doch
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