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In einer kleinen Stad

In einer kleinen Stad

Titel: In einer kleinen Stad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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nicht war.
    Sie schloß die Haustür auf und ging ins Haus. Raider sprang schwanzwedelnd an ihr hoch, und sie streichelte ihn einen Moment – aber nur einen Moment. Sie mußte die Haustür zumachen, denn die verrückte Polin konnte jederzeit auftauchen. Jederzeit.
    Sie schlug die Tür zu, schob den Riegel vor und ging hinaus zum Holzschuppen. Die Schranktür war natürlich verschlossen. Sie kehrte ins Haus zurück und blieb eine Minute in der Küche stehen. Sie machte sich schon wieder Sorgen, begann zu denken, sie hätte sich getäuscht, und die Schranktür wäre in Wirklichkeit doch nicht verschlossen. Vielleicht hatte sie nicht kräftig genug am Griff gezogen, um hundertprozentig sicher zu sein. Vielleicht hatte sie nur geklemmt. Sie ging hinaus, um sie noch einmal zu überprüfen, und während sie es tat, begann das Telefon zu läuten. Sie eilte ins Haus zurück, den Schrankschlüssel mit der verschwitzten rechten Hand umkrampfend. Sie prallte mit dem Schienbein gegen einen Schemel und schrie vor Schmerz auf.
    Als sie im Wohnzimmer angekommen war, hatte das Läuten wieder aufgehört.
    »Ich kann heute nicht zur Arbeit gehen«, murmelte sie. »Ich muß – muß...«
    (auf der Hut sein)
    Das war es. Sie mußte auf der Hut sein.
    Sie nahm den Hörer ab und wählte rasch, bevor ihr Verstand anfangen konnte, wieder an sich selbst zu nagen, wie Raider an seinem Spielzeugknochen nagte.
    »Hallo«, sagte Polly. »Hier ist You Sew and Sew.«
    »Ich bin’s, Polly.«
    »Nettie? Ist irgend etwas passiert?«
    »Nein, aber ich rufe von zu Hause an, Polly. Mein Magen macht mir zu schaffen.« Das war jetzt keine Lüge mehr. »Könnte ich vielleicht den Tag frei bekommen? Ich weiß, daß ich eigentlich oben staubsaugen sollte – und der Mann von der Telefongesellschaft wollte kommen – aber...«
    »Das ist kein Problem«, sagte Polly sofort. »Der Mann von der Telefongesellschaft kommt nicht vor zwei, und ich will heute ohnehin früh Schluß machen. Meine Hände tun immer noch zu weh, als daß ich lange arbeiten könnte. Ich lasse ihn selbst herein.«
    »Aber wenn Sie mich wirklich brauchen, könnte ich...«
    »Es muß wirklich nicht sein«, versicherte ihr Polly, und Nettie spürte, wie ihr Tränen in die Augen traten. Polly war so nett.
    »Sind es heftige Schmerzen, Nettie? Soll ich Dr. Van Allen zu Ihnen schicken?«
    »Nein – nur leichte Krämpfe. Sie werden sich bald wieder geben. Wenn ich kann, komme ich heute nachmittag.«
    »Unfug«, sagte Polly energisch. »Seit Sie für mich arbeiten, haben Sie sich noch keinen einzigen Tag freigenommen. Kriechen Sie einfach wieder ins Bett und versuchen Sie zu schlafen. Und ich warne Sie: wenn Sie trotzdem erscheinen, schicke ich Sie gleich wieder nach Hause.«
    »Danke, Polly.« Sie war den Tränen nahe. »Sie sind so gut zu mir.«
    »Sie verdienen Güte. Ich muß Schluß machen, Nettie – Kundschaft. Legen Sie sich hin. Ich rufe heute nachmittag an, um zu hören, wie es Ihnen geht.«
    »Danke.«
    »Gern geschehen. Bis später.«
    »Bis später«, sagte Nettie und legte auf.
    Sie trat sofort ans Fenster und schob die Gardine beiseite. Die Straße war leer – im Augenblick. Sie ging wieder in den Schuppen, schloß den Schrank auf und holte den Lampenschirm heraus. Sobald sie ihn wieder in den Armen hielt, überkam sie ein Gefühl der Ruhe und Entspanntheit. Sie nahm ihn mit in die Küche, wusch ihn in warmem Seifenwasser, spülte ihn ab und trocknete ihn behutsam.
    Sie öffnete eine der Küchenschubladen und holte ihr Fleischmesser heraus. Mit dem Messer und dem Lampenschirm kehrte sie ins Wohnzimmer zurück, und dort saß sie den ganzen Vormittag in ihrem Sessel, kerzengerade aufgerichtet, den Lampenschirm auf dem Schoß und das Fleischmesser in der rechten Hand.
    Das Telefon läutete zweimal.
    Nettie nahm den Hörer nicht ab.

Siebentes Kapitel
     

1
     
    Freitag, der elfte Oktober, war ein hervorragender Tag für Castle Rocks neuesten Laden, vor allem, als der Vormittag in den Nachmittag überging und die Leute ihren Wochenlohn in der Tasche hatten. Geld in der Hand regte zum Einkaufen an; ebenso die gute Mundpropaganda derjenigen, die am Mittwoch hereingeschaut hatten. Natürlich gab es etliche Leute, die der Ansicht waren, daß man dem Urteil von Leuten, die ungeschliffen genug waren, einem neuen Laden am allerersten Tag einen Besuch abzustatten, nicht trauen konnte, aber sie waren in der Minderheit, und das kleine silberne Glöckchen über der Vordertür von Needful

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