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In einer kleinen Stad

In einer kleinen Stad

Titel: In einer kleinen Stad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Schranke passiert.
    Die Lüge hatte ihn weder geärgert noch beunruhigt. Es gab Leute, die zu ihrem Vorteil logen, Leute, die logen, weil sie Schmerzen hatten, Leute, die logen, weil ihnen der Begriff der Wahrheit völlig fremd war – und dann gab es Leute, die logen, weil sie sich darauf verließen, daß die Zeit zum Erzählen der Wahrheit kommen würde. Er glaubte, daß Pollys Lüge über Kelton in die letzte Kategorie gehörte, und er war zufrieden, zu warten. Eines Tages würde sie sich entschließen, ihm ihre Geheimnisse zu offenbaren. Es hatte keine Eile.
    Keine Eile: schon der Gedanke schien ein Luxus zu sein.
    Auch ihre Stimme, die aus dem Wohnzimmer zu ihm herüberdrang – voll und gelassen und irgendwie genau richtig -, schien ein Luxus zu sein. Er war noch nicht ganz über das Schuldgefühl hinweg, einfach hier zu sein und zu wissen, wo sich alle Teller und Küchenutensilien befanden, zu wissen, in welcher Schublade sie ihre Nylonstrümpfe aufbewahrte oder welche Stellen ihrer Haut von der Sommersonne nicht gebräunt waren, aber nichts von alledem spielte eine Rolle, wenn er ihre Stimme hörte. Im Grunde gab es nur eine einzige Tatsache, die hier eine Rolle spielte, eine simple Tatsache, die alle anderen überwog: der Klang ihrer Stimme wurde zum Klang eines Zuhauses.
    »Ich könnte nachher noch vorbeikommen, wenn Sie es möchten, Nettie... Wirklich?... Nun, Ruhe ist vermutlich die beste Medizin... Morgen?«
    Polly lachte. Es war ein unverklemmtes, angenehmes Geräusch, bei dem Alan immer das Gefühl hatte, als wäre die Welt irgendwie aufgefrischt worden. Er dachte, daß er lange Zeit darauf warten konnte, daß ihre Geheimnisse ans Licht kamen, wenn sie nur hin und wieder auf diese Weise lachte.
    »Himmel, nein! Morgen ist Samstag! Ich werde einfach nur herumliegen und sündigen!«
    Alan lächelte. Er zog die Schublade unter dem Herd auf, fand ein Paar Topflappen und öffnete die Backröhre. Eine Kartoffel, zwei Kartoffeln, drei Kartoffeln, vier. Wie in aller Welt sollten sie beide vier große gebackene Kartoffeln essen? Aber natürlich hatte er gewußt, daß es zu viele sein würden: das war Pollys Art zu kochen. Hinter diesen vier großen Kartoffeln steckte zweifellos ein weiteres Geheimnis und eines Tages, wenn er sämtliche Warums kannte – oder die meisten oder zumindest einige von ihnen -, würden vielleicht auch seine Schuld- und Unwirklichkeitsgefühle verschwinden.
    Er holte die Kartoffeln heraus. Einen Moment später piepte der Mikrowellenherd.
    »Ich muß Schluß machen, Nettie...«
    »Laß nur!« rief Alan. »Ich habe alles unter Kontrolle. Ich bin Polizist, Lady!«
    »... aber rufen Sie mich an, wenn Sie irgend etwas brauchen. Sind Sie ganz sicher, daß es Ihnen jetzt wieder besser geht?... Und Sie würden es mir sagen, wenn es nicht so wäre, Nettie, nicht wahr?... Okay... Wie bitte?... Nein, nur eine Frage... Sie auch... Gute Nacht, Nettie.«
    Als sie herüberkam, hatte er die Hähnchenteile auf den Tisch gestellt und war eifrig damit beschäftigt, eine der Kartoffeln auf ihrem Teller zu zerlegen.
    »Alan, du Goldstück! Das hättest du nicht zu tun brauchen.«
    »Gehört alles zum Service, meine Hübsche.« Das war noch etwas, das er verstand. Wenn Polly starke Schmerzen hatte, wurde das ganze Leben für sie zu einer Folge von teuflischen kleinen Kämpfen; die normalen Verrichtungen eines normalen Lebens verwandelten sich in eine Reihe strapaziöser Hindernisse, die überwunden werden mußten, und die Strafe für Versagen waren nicht nur Schmerzen, sondern auch Verlegenheit. Den Geschirrspüler einräumen. Brennholz im Kamin stapeln. Mit Messer und Gabel hantieren, um eine gebackene Kartoffel aus der Schale zu bekommen.
    »Setz dich«, sagte er. »Wir wollen Cluck-Cluck machen.«
    Sie brach in Gelächter aus, und dann umarmte sie ihn. Sie drückte seinen Rücken mit den Unterarmen anstatt mit den Händen, stellte der unerbittliche Beobachter fest. Aber ein weniger leidenschaftsloser Teil von ihm registrierte die Art, auf die ihr schlanker Körper gegen den seinen drückte und roch den lieblichen Duft des Shampoos, das sie benutzte.
    »Du bist der allerbeste Mann«, sagte sie leise.
    Er küßte sie, zuerst sanft, dann nachdrücklicher. Seine Hände glitten von ihrem Kreuz herab zur Rundung ihres Gesäßes. Der Stoff ihrer alten Jeans fühlte sich glatt und weich an.
    »Sitz, Großer«, sagte sie schließlich. »Erst essen, dann schmusen.«
    »Ist das eine Einladung?« Wenn sich ihre

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