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In einer Person

In einer Person

Titel: In einer Person Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Grandpa Harry, konnte aber nicht fortfahren. Er
kratzte sich unter einer seiner Gummititten und fächelte seiner Glatze mit der
Perücke Frischluft zu. Hinter der Bühne war es heiß.
    Genauso lief es ab – als ich Miss Frost zum letzten Mal sah. Bob
ging ins Immatrikulationsbüro, um die Schlüssel für die Sporthalle zu holen; er
müsse uns begleiten, erklärte mein Onkel, weil nur er und Herm Hoyt wüssten, wo
in der neuen Halle die Lichtschalter waren. (Man musste zunächst in die neue
Sporthalle und dann über den überbauten Gang in die alte Sporthalle
hinübergehen, anders kam man nicht in den Ringerbereich.)
    »Zu meiner Zeit gab es noch keine neue Sporthalle, William«,
erzählte Miss Frost, während wir über den dunklen Campus der Favorite River
Academy stapften, samt Onkel Bob und Grandpa Harry – wohlbemerkt nicht mit Mrs. Winemiller, weil Harry inzwischen seine
Holzfällerklamotten trug. Nils Borkman hatte beschlossen, auch mitkommen.
    »Mich interessiert, was beim Ringen läuft ab !«,
sagte der neugierige Norweger.
    »Was beim Ringen abläuft «, berichtigte
Grandpa Harry.
    »Du ziehst in die Welt hinaus, William«, stellte Miss Frost fest.
»Und homohassende Arschlöcher gibt es überall.«
    [461]  »Homo-Arschlöcher?«, fragte Nils nach.
    »Homohassende Arschlöcher – Arschlöcher, die Homos hassen«,
korrigierte Grandpa Harry seinen alten Freund.
    »Nachts habe ich noch nie jemanden in die Sporthalle gelassen«,
sagte uns Onkel Bob aus heiterem Himmel. Jemand kam angelaufen, um im Dunkeln
zu uns aufzuschließen. Es war Richard Abbott.
    »Wachsendes öffentliches Interesse mitzuerleben, was beim Ringen
abläuft, Bill?«, fragte Grandpa Harry.
    »Ich wollte kein Training abhalten, William – pass bitte auf. Uns
bleibt nicht viel Zeit«, ergänzte Miss Frost, als Onkel Bob gerade den
Lichtschalter fand, und ich konnte sehen, wie Miss Frost mir zulächelte. Das
war unser Schicksal – nicht viel Zeit miteinander zu
haben.
    Obwohl Onkel Bob, Grandpa Harry, Richard Abbott und Nils Borkman als
Publikum dabei waren, wurde das, was Miss Frost mir zeigen wollte, nicht zu
einer Publikumsveranstaltung. Die alte Sporthalle war ungleichmäßig
ausgeleuchtet, und seit dem Ende der 1961er-Saison hatte keiner die
Ringermatten gesäubert; die Matten waren von Staub und Schmutz bedeckt, und im
Bereich der Mannschaftsbänke lagen ein paar dreckige Handtücher auf dem Boden.
Bob, Harry, Richard und Nils setzten sich auf die Bank der Heimmannschaft; Miss
Frost hatte sie aufgefordert, dort Platz zu nehmen, und die Männer taten wie
geheißen. (Auf ihre Art, und jeder aus seinen ureigenen Gründen, waren diese
vier Männer echte Fans von Miss Frost.)
    »Zieh die Schuhe aus, William«, begann Miss Frost; ich sah, dass sie
ihre bereits ausgezogen hatte. Miss Frost hatte [462]  ihre Zehennägel türkis
lackiert – vielleicht war es auch irgendeine Meeresfarbe, eine Art grünliches
Blau.
    Es war ein warmer Juniabend, deswegen trug Miss Frost ein weißes Top
und eine blaugrüne, zu ihrem Zehennagellack passende Caprihose, die fürs Ringen
wohl ein wenig eng war. Ich hatte schlabbrige Bermudashorts und ein T-Shirt an.
    »Hi«, sagte plötzlich Elaine. Im Theater hatte ich sie gar nicht
bemerkt. Sie war uns in die alte Sporthalle gefolgt – offenbar in diskreter
Entfernung – und saß jetzt auf der hölzernen Laufbahn über dem Ringerraum, von
wo aus sie uns beobachtete.
    »Mehr Ringen«, sagte ich nur zu Elaine, freute mich aber, dass meine
liebe Freundin da war.
    »Eines Tages wird man dich angreifen, William«, sagte Miss Frost.
Sie legte eine Hand hinten um meinen Hals, was Delacorte einen Nackengriff
genannt hatte. »Früher oder später wird man dich herumschubsen.«
    »Kann ich mir vorstellen«, sagte ich.
    »Je größer und aggressiver dein Gegner ist, desto dichter solltest
du ihm auf die Pelle rücken, desto näher solltest du an ihn herankommen«,
erklärte mir Miss Frost. Ich konnte sie riechen; ich spürte ihren Atem seitlich
an meinem Gesicht. »Du musst dafür sorgen, dass er sich gegen dich lehnt – dass
ihr Wange an Wange steht, nämlich so. Dann rammst du ihm einen seiner Arme in
die Kehle. Und zwar so «, sagte sie; die Innenseite
meines eigenen Ellbogens schränkte meine Atmung ein. »Du musst erreichen, dass
er sich löst – dass er diesen Arm hebt«, sagte Miss Frost.
    Als ich mich gegen sie drückte – als ich den Arm hob, [463]  um den
Ellbogen von meinem Hals zu nehmen –, duckte sich

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