Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In einer Person

In einer Person

Titel: In einer Person Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
und Grandpa Harry kannte auch ohne Souffleuse seinen Text genau.
    »Hör bloß auf, Mary«, sagte Grandpa Harry
zu meiner Mutter. »Vergiss das mit Franny einfach. Verschon uns einmal im Leben
mit deinem Selbstmitleid. Ein guter Mann hat dich am Ende geheiratet, Herrgott
noch mal! Weswegen bist du nur so wütend ?«
    »Ich rede mit meinem Sohn, Daddy«, fing
meine Mom an, doch sie war nicht mit dem Herzen dabei.
    »Dann behandle ihn auch wie deinen Sohn«,
sagte mein Großvater. »Respektiere Bill, so wie er ist, Mary. Was willst du
machen – seine Gene ändern oder was?«
    »Diese Kreatur «, wiederholte meine Mutter,
womit sie Miss Frost meinte, doch in diesem Moment verließ Muriel unter
donnerndem Applaus die Bühne. Muriels stattlicher Busen hob und senkte sich.
War es das Staunen oder die Endgültigkeit, das sie so strapaziert hatte? »Die Kreatur ist
hier – im Publikum!«, rief meine Mom Muriel zu.
    »Ich weiß, Mary. Glaubst du, ich hätte ihn
nicht gesehen?«, sagte Muriel.
    » Sie nicht gesehen«, korrigierte ich meine
Tante.
    »Sie!«, sagte Muriel böse.
    [458]  »Nenn du sie nicht eine Kreatur «,
forderte ich meine Mutter auf.
    »Sie hat sich sehr um Billy gekümmert, Mary«, sagte Harry (als Mrs.
Winemiller). »Das hat sie wirklich .«
    »Mädels, Mädels…«, sagte Nils Borkman in diesem Moment. Er wollte
Muriel und Grandpa Harry dazu bewegen, noch einmal für eine Verbeugung auf die
Bühne zu kommen. Nils war zwar ein Tyrann, doch ich war ihm dankbar, dass er
mir das fürs Ensemble obligatorische Verbeugen nach Vorstellungsende erließ;
Nils wusste, dass ich hinter der Bühne eine wichtigere Rolle zu spielen hatte.
    »Rede bitte nicht mit dieser… Frau ,
Billy«, bat meine Mom. Richard stand neben uns, bereitete sich auf seine
Verbeugungen vor, und meine Mutter warf sich ihm in die Arme. »Hast du gesehen,
wer da ist? Sie ist hierhergekommen ! Billy will mit
ihr reden ! Ich ertrag das nicht!«
    »Lass Billy mit ihr reden, Jewel«, sagte Richard und lief auf die
Bühne.
    Das Publikum überschüttete das Ensemble mit noch mehr tosendem
Applaus, als Miss Frost hinter der Bühne auftauchte, nur Sekunden nach Richards
Abgang.
    »Kittredge hat verloren«, sagte ich zu Miss Frost. Monatelang hatte
ich mir vorgestellt, was ich ihr sagen würde; jetzt brachte ich nur das heraus.
    »Zweimal«, sagte Miss Frost. »Herm hat’s mir erzählt.«
    »Ich dachte, du wärst nach New Hampshire gezogen«, sagte meine Mom
zu ihr. »Du dürftest nicht hier sein.«
    »Ich hätte überhaupt nie hier sein dürfen, Mary – ich hätte hier
nicht einmal geboren werden dürfen«, antwortete ihr Miss Frost.
    [459]  Richard und die übrigen Mitwirkenden hatten inzwischen die Bühne
verlassen. »Wir sollten gehen, Jewel – wir sollten die beiden ein Weilchen
allein lassen«, sagte Richard Abbott zu meiner Mutter. Miss Frost und ich
würden nie wieder gemeinsam »allein« sein, das war klar.
    Zu jedermanns Überraschung wandte Miss Frost sich an Muriel. »Reife
Leistung«, sagte sie zu meiner spröden Tante. »Ist Bob da? Ich muss ein paar
Worte mit dem Tennisarm wechseln.«
    »Ich bin hier, Al«, meldete sich Onkel Bob unsicher.
    »Du hast doch sicher einen Hauptschlüssel, mit dem man überall
reinkommt, oder, Bob?«, fragte Miss Frost. »Ich würde William gern etwas
zeigen, ehe ich First Sister verlasse«, fuhr sie ohne jeden dramatischen
Unterton fort. »Ich muss ihm etwas in der Ringerhalle zeigen«, sagte Miss
Frost. »Ich hätte Herm bitten können, uns reinzulassen, wollte ihn aber nicht
in Schwierigkeiten bringen.«
    »In der Ringerhalle !«, rief Muriel aus.
    »Du und Billy, in der Ringerhalle«, sagte Onkel Bob langsam zu Miss
Frost, als fiele es ihm schwer, sich das vorzustellen.
    »Du kannst gern mitkommen, Bob«, sagte Miss Frost, sah aber meine
Mom an. »Mary und Muriel, ihr könnt auch mitkommen – wenn ihr glaubt, William
und ich brauchen mehr als einen Anstandswauwau.«
    Ich dachte, meine ganze Scheißfamilie würde auf der Stelle sterben –
allein schon bei dem Wort Anstandswauwau ! –, doch
Grandpa Harry nahm wieder einmal die Gelegenheit wahr, sich auszuzeichnen. »Gib
mir einfach die Schlüssel, Bob – ich mach den
Anstandswauwau.«
    [460]  »Du?«, rief Nana Victoria. (Niemand
hatte bemerkt, dass sie hinter der Bühne aufgetaucht war.) »Sieh dich doch nur an, Harold! Du bist eine Witzfigur !
Du bist in keinem Zustand, um den Anstandswauwau zu geben, egal, für wen!«
    »Also…«, begann

Weitere Kostenlose Bücher