In einer Person
eine einzige Aktion. Damit kannst du zwar
jemanden zu Boden werfen, ihm vielleicht ein wenig weh tun. Aber ein zäher
Bursche wird wieder aufstehen und dir nachsetzen. Eine Aktion macht dich noch nicht zum Ringer, Billy.«
»Verstehe«, sagte ich.
»Sobald du deinen Durchschlüpfer erledigt hast, nimmst du die Beine
in die Hand – egal, wo du gerade bist, Billy. Verstehst du, was ich meine?«,
fragte mich Trainer Hoyt.
»Der Durchschlüpfer ist nur eine Aktion – ich mach das und lauf weg.
Wollen Sie mir das damit sagen?«, fragte ich ihn.
»Du machst das und läufst weg – du kannst doch laufen, oder?«, sagte
der alte Trainer.
»Was wird aus ihr?«, fragte ich ihn unvermittelt.
»Das kann ich dir nicht verraten, Billy«, sagte Herm seufzend.
»Sie hat mehr als eine Aktion drauf, stimmt’s?«, fragte ich ihn.
»Ja, aber Al wird auch nicht jünger«, sagte Trainer Hoyt. »Geh
besser nach Hause, Billy – inzwischen ist es hell genug.«
Ich dankte ihm und ging über den völlig menschenleeren Campus der
Favorite River Academy. Gern hätte ich Elaine getroffen, sie umarmt und
geküsst, glaubte aber nicht, dass darin unsere Zukunft lag. Auf mich wartete
ein Sommer, in dem ich das vielgepriesene sexuelle Alles mit Tom Atkins zu erkunden hoffte, doch ich mochte Jungs [470] und Mädchen; ich wusste, Atkins konnte mir nicht alles bieten.
War ich Romantiker genug, um zu glauben, dass Miss Frost das von mir
wusste? Glaubte ich, sie wäre die erste Person, die verstand, dass nicht eine
Person mir jemals alles geben könnte?
Ja, wahrscheinlich. Schließlich war ich erst neunzehn – ein
bisexueller junger Mann mit einem ziemlich guten Durchschlüpfer im Repertoire.
Es war nur eine Aktion, und ich war kein Ringer, aber
von guten Lehrern konnte man eine Menge lernen.
[471] 11
España
»Warte damit noch ein Weilchen, William«, hatte Miss Frost
gesagt. »Die Zeit zum Lesen von Madame Bovary ist
gekommen, wenn all deine Liebeshoffnungen und Sehnsüchte zunichte sind und du
glaubst, die Zukunft hielte nur Beziehungen mit enttäuschenden bis verheerenden
Folgen für dich bereit.«
»Dann warte ich mit dem Lesen bis dann«, hatte ich erwidert.
Wen wundert’s, dass ich diesen Roman im Sommer 1961 nach Europa
mitnahm, auf meine Reise mit Tom?
Kaum hatte ich mit der Lektüre von Madame Bovary begonnen, da fragte mich der arme Tom in seinem üblichen Tonfall: »Wer ist das,
Bill?«, und biss sich so mitleidheischend auf die Unterlippe, dass für mich
feststand: Er war eifersüchtig auf Emma Bovary. Dabei war ich der Frau noch
nicht mal begegnet! (Ich hielt mich noch mit ihrem trotteligen Ehemann, Dr.
Charles Bovary, auf.)
Ich las Atkins sogar den Satz über den Umgang von Charles’ Vater mit
seinem Sohn vor: »Er lehrte ihn, Rum in großen Schlucken zu trinken und auf die
Prozessionen zu schimpfen.« (Was für eine progressive Erziehung, dachte ich mir
irrtümlich.) Doch als ich dem armen Tom die treffende Charakterisierung von
Charles vorlas – »seine [472] Sehnsucht lehnte sich trotzig gegen dieses sklavisch
unterwürfige Verhalten auf« –, sah ich sofort, wie ihn das traf. Es sollte
nicht das letzte Mal sein, dass ich Atkins’ Minderwertigkeitskomplex
unterschätzt hatte. Nach diesem ersten Mal durfte ich Madame
Bovary nicht mehr allein lesen; die Lektüre war mir nur noch gestattet,
wenn ich Tom Atkins jedes einzelne Wort vorlas. Zugegeben: Nicht jedem neuen
Leser von Madame Bovary flößt der Roman Misstrauen,
wenn nicht gar Abneigung gegen Monogamie ein, aber meine Monogamiefeindlichkeit
entstand im Sommer 1961. Um Flaubert Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, war
es vor allem auf Toms ängstliches Beharren darauf zurückzuführen, dass ich
Monogamie immer mehr verachtete.
Was für eine fürchterliche Art, sich diesen wundervollen Roman zu
Gemüte zu führen: ihn Tom Atkins vorzulesen, der, kaum dass er sich auf das
erste Liebesabenteuer seines jungen Lebens eingelassen hatte, bereits Untreue
witterte! Tom Atkins’ Ekel vor Emmas Ehebruch entsprach dem Brechreiz, den das
Wort Vagina bei ihm auslöste; allerdings widerte Emma
den armen Tom schon lange vor ihrem Abstieg in den Ehebruch an – bereits bei
der Beschreibung ihrer »Atlasschuhe, deren Sohlen vom glatten Parkettwachs ganz
gelb geworden waren«, grauste es ihn.
»Wen interessieren die Füße dieser furchtbaren Frau?«, jammerte
Atkins.
Natürlich war es Emmas Herz, das Flaubert sezierte – »bei der
Berührung mit dem Reichtum war
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