In einer Person
Richard aufmunternd. »Schwärmereien sind weit verbreitet und
nichts Ungewöhnliches – man muss sie genießen !«,
fügte er hinzu.
»Manchmal schwärme ich für die Falschen«, nahm ich einen neuen
Anlauf.
»Man kann nicht für ›die Falschen‹ schwärmen, Bill«, versicherte mir
Richard. »Du kannst es dir nicht aussuchen, ob du für jemanden schwärmst oder
nicht.«
»Oh!«, sagte ich. Mit dreizehn hieß das für mich wohl, dass eine
Schwärmerei etwas Ernsteres war als gedacht.
Schon komisch, dass mir nur sechs Jahre später, als ich mit Tom im
Sommer jene Europareise machte, die in Brügge so unglücklich begann, allein die
Vorstellung, mich zu verlieben, eher unwahrscheinlich, ja sogar unmöglich
vorkommen sollte. In jenem Sommer war ich zwar erst neunzehn, aber bereits
überzeugt, mich nie wieder verlieben zu können.
Ich weiß gar nicht genau, welche Erwartungen der arme Tom an jenen
Sommer hatte, doch ich war noch so unerfahren, dass ich annahm, ich hätte meine
letzte Schwärmerei erlebt, die so schlimm war, dass ich davon Schaden nahm. Ja,
ich war so furchtbar naiv – genau wie Tom –, dass ich außerdem annahm, mir
bliebe mein restliches Leben, um mich von der leichten Verletzung zu erholen,
die ich mir bei meinen Liebesqualen um Miss Frost zugezogen hatte. Ich hatte
noch zu wenig Beziehungen gehabt, um zu erkennen, welche bleibende Wirkung Miss
Frost auf mich ausüben sollte; die Verletzung war keineswegs so »leicht«, wie
ich damals annahm.
Was Tom betraf, so dachte ich einfach nur, ich müsse [58] vorsichtiger
sein, wenn ich den jüngeren Zimmermädchen Blicke zuwarf oder den anderen
kleinbrüstigen Mädchen und jungen Frauen, denen er und ich auf unserer Reise
begegneten.
Ich hatte Toms Unsicherheit bemerkt und wusste, wie empfindlich er
darauf reagierte, »ausgegrenzt« zu werden, wie er es nannte. Ständig glaubte
er, von anderen übersehen, nicht wichtig genommen oder bewusst ignoriert zu
werden. Ich gab mir Mühe, niemand anderen allzu lange anzusehen.
Doch eines Abends – wir waren gerade in Rom – sagte Tom zu mir: »Ich
wünschte, du würdest die Prostituierten an starren. Sie mögen es, wenn man sie ansieht, Bill, und ehrlich gesagt, finde ich es
unerträglich zu wissen, dass du an sie denkst – besonders an die sehr große mit
dem Anflug eines Damenbarts –, aber nicht mal hinsiehst !«
An einem anderen Abend (ich habe vergessen, wo wir uns befanden,
aber wir waren zu Bett gegangen, und ich dachte, Tom schliefe bereits) sagte er
im Dunkeln: »Es ist, als wäre man ins Herz geschossen worden, Bill, hätte aber
weder das Loch noch den Blutverlust bemerkt. Ich bezweifle, dass man auch nur
den Schuss gehört hat!«
Doch ich greife vor – ein Schriftsteller, der das Ende der
Geschichte bereits kennt, neigt leider dazu. Kehren wir besser wieder zu
Richard Abbott und seinen Bemühungen zurück, mir meinen ersten Bibliotheksausweis
zu besorgen – ganz zu schweigen von Richards heroischen Versuchen, mich, einen
Dreizehnjährigen, zu beruhigen, man könne gar nicht für die »Falschen«
schwärmen.
[59] An diesem Septemberabend war die Bibliothek fast
menschenleer; wie ich später herausfand, war das die Regel. (Am erstaunlichsten
war, dass in dieser Bibliothek nie Kinder waren; ich brauchte Jahre, bis mir
klar wurde, warum.) Zwei ältere Frauen saßen auf einem wenig einladenden Sofa
und lasen; ein alter Mann hatte sich am Ende eines langen Tisches mit
Bücherstapeln umgeben, offenbar aber weniger im Bestreben, die vielen Bücher zu
lesen, als um sich von den beiden alten Damen abzugrenzen.
Außerdem waren noch zwei verzagt wirkende Oberschülerinnen anwesend;
sie und Cousine Gerry litten gemeinsam auf der staatlichen Highschool in Ezra
Falls. Die Schülerinnen erledigten wahrscheinlich ihre, wie Gerry es mir
gegenüber formuliert hatte, »generell minimalen« Hausaufgaben.
Der Staub, der sich seit langem in den Büchern angesammelt hatte, brachte
mich zum Niesen. »Hoffentlich ist das keine Bücher allergie«,
sagte jemand – das waren Miss Frosts erste an mich gerichtete Worte, und als
ich mich umdrehte und sie sah, brachte ich kein Wort heraus.
»Dieser Junge hätte gern einen Bibliotheksausweis«, sagte Richard
Abbott.
»Und wer mag dieser Junge sein?«, fragte
ihn Miss Frost, ohne mich anzusehen.
»Das ist Billy Dean – Sie kennen doch bestimmt Mary Marshall Dean«,
erklärte Richard. »Bill ist Marys Sohn –«
»Aber ja – natürlich!«, rief Miss Frost
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