In einer Person
war ein Traum
mit einem Ich-Erzähler – ein Traum mit einer Stimme. )
Der Mann in der U-Bahn setzte sich um, einmal und noch einmal, und
rückte meinem Vater immer näher. Als er ihm fast direkt auf die Pelle gerückt
war und die U-Bahn vor der nächsten Haltestelle abbremste, wandte sich der
Fremde an meinen Vater und sagte: »Hallo. Ich bin Bovary. Wissen Sie noch?«
Worauf die U-Bahn am Central Square anhielt, der Bücherwurm ausstieg und der
Sergeant zum Harvard Square weiterfuhr.
Man hat mir gesagt, dass bei Scharlach das Fieber innerhalb
einer Woche abklingt – normalerweise aber schon nach drei oder vier Tagen. Ich
bin mir ziemlich sicher, dass ich fieberfrei war, als ich Richard Abbott
fragte, ob er mir je diese Geschichte erzählt hatte – etwa zu Beginn des
Ausschlags oder während der Halsschmerzphase, die ein paar Tage vor dem
Ausschlag einsetzt. Meine Zunge war erdbeerrot gewesen, doch als ich Richard
gegenüber zum ersten Mal diesen äußerst lebhaften und wiederkehrenden Traum
ansprach, war sie eher himbeerfarben und der Ausschlag im Abklingen.
»Die Geschichte kenne ich nicht, Billy«, sagte Richard zu mir. »Ich
hab sie eben zum ersten Mal gehört.«
»Oh.«
»Klingt für mich ganz nach einer Grandpa-Harry-Geschichte«, sagte
Richard.
[126] Doch als ich meinen Großvater fragte, ob etwa er mir die Madame-Bovary -Geschichte erzählt hätte, fing
Grandpa Harry mit seiner »Ach ja«-Tour an und druckste in weitem Bogen um die
Frage herum. Nein, diese Geschichte habe er mir » bestimmt nicht« erzählt, sagte mein Großvater. Ja, gehört habe
er sie – »aus zweiter Hand« –, er könne sich aber beim besten Willen nicht
erinnern, von wem. »Vielleicht von Onkel Bob – dann hat möglicherweise Bob sie
dir erzählt, Bill.« Anschließend fühlte mein Großvater mir die Stirn und
murmelte etwas in dem Sinne, das Fieber sei ja jetzt offenbar weg. Er sah mir
auch in den Mund und verkündete: »Die Zunge sieht immer noch ziemlich übel aus,
obwohl der Ausschlag im Abklingen ist, würde ich meinen.«
»Es war zu real, um ein Traum zu sein – jedenfalls am Anfang«, sagte
ich ihm.
»Ach ja – wer eine lebhafte Phantasie besitzt, und dazu gehörst du mit Sicherheit, Bill,
dem können manche Träume sehr real vorkommen«, druckste mein Großvater herum.
»Ich werde Onkel Bob fragen«, sagte ich.
Bob steckte mir immerzu Squashbälle in die Taschen oder Schuhe –
oder unter das Kopfkissen. Es war ein Spiel; wenn ich die Bälle fand, gab ich
sie ihm wieder. »Na so was, wie ich diesen Squashball überall gesucht hab, Billy!«, sagte Bob dann. »Bin ich froh, dass
du ihn gefunden hast!«
»Um was geht es in Madame Bovary ?«, fragte
ich Onkel Bob. Er war vorbeigekommen, um zu sehen, ob es mir schon wieder
besserging, und ich hatte ihm den Squashball zurückgegeben, den ich in meinem
Zahnputzglas gefunden [127] hatte – in dem Badezimmer, das ich mit Grandpa Harry
teilte.
Nana Victoria würde »lieber sterben«, als sich das Bad mit ihm zu
teilen, hatte Harry mir erzählt, aber mir machte es nichts aus.
»Ehrlich gesagt, ich hab Madame Bovary nie
gelesen, Billy«, gestand mir Onkel Bob; danach spähte er in den Flur vor meinem
Zimmer, um sich zu vergewissern, dass meine Mutter (oder meine Großmutter oder
Tante Muriel) nicht in Hörweite waren. Obwohl die Luft rein war, sprach er im
Flüsterton: »Ich glaube, es geht um Seitensprünge, Billy – um eine untreue
Gattin.« Und als ich ihn verständnislos anstarrte, ergänzte er rasch: »Am
besten fragst du Richard, worum es in Madame Bovary geht – du weißt schon, Literatur ist sein Fachgebiet.«
»Ist die Geschichte erfunden oder wahr?«, fragte ich.
»Ich glaub nicht, dass es eine wahre Geschichte ist«, antwortete
Onkel Bob. »Aber Richard muss das wissen.«
»Oder ich könnte Miss Frost fragen«, schlug ich vor.
»M-hm, sicher – aber sag ja nicht, es wäre meine Idee gewesen«,
antwortete Onkel Bob.
»Ich kenne da eine Geschichte«, setzte ich an. »Vielleicht hab ich
sie von dir.«
»Meinst du die über den Kerl, der auf hundert Klobrillen zugleich Madame Bovary liest?«, rief Bob. »Ist das nicht eine tolle
Geschichte?«
»Find ich auch«, sagte ich. »Die ist so was von komisch!«
»Zum Schießen!«, bestätigte Onkel Bob. »Nein, die Geschichte hab ich
dir nie erzählt, Billy – jedenfalls kann ich [128] mich nicht erinnern, sie dir erzählt zu haben«, fügte er rasch hinzu.
»Oh.«
»Vielleicht hat deine Mutter sie
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