In einer Person
hielte ich sie für etwas
zurückgeblieben oder so naiv, dass jeder, der ihr schmeichelte, sie erobern
konnte.
»Aber ich mag Sie doch, Jacques – ganz
bestimmt mag ich Sie nicht nicht «, platzte es aus
meiner Mutter heraus, während Elaine (als Miranda) innerlich kochte; Elaine
wusste, dass Kittredge meine Mutter mit dem Ausdruck scharf belegt hatte.
»Ich werde so nervös in Ihrer Nähe«, vertraute Kittredge meiner
Mutter an, obwohl er durchaus nicht nervös, sondern im Gegenteil immer
selbstsicherer wirkte.
»Was für ’ne Verarsche!«, quäkte Elaine Hadley. Beim Klang ihrer
Stimme zuckte Kittredge zusammen, und meine Mutter wich zurück, als hätte sie
eine Ohrfeige bekommen.
»Elaine, bitte keine Kraftausdrücke«, sagte meine Mutter.
»Können wir nicht einfach mit dem Stück weitermachen?«, sagte Elaine.
»Ach, Napel – du bist so ungeduldig«, sagte Kittredge mit seinem
entwaffnendsten Lächeln, erst an Elaine, dann an meine Mutter gewandt. »Elaine
kann die Händchenhalteszene nicht abwarten«, verriet Kittredge meiner Mutter.
Tatsächlich endet die Szene, die sie probten – dritter Aufzug, erste
Szene –, damit, dass Ferdinand und Miranda einander die Hand reichen. Jetzt war
Elaine mit Rotwerden an der Reihe, aber Kittredge, der die Situation vollkommen
unter Kontrolle hatte, warf meiner Mutter seinen treuherzigsten Blick zu. »Ich
hab da mal ’ne Frage, Mrs. Abbott«, setzte er an, als wären Elaine (oder
Miranda) gar nicht da – [132] als hätte es sie nie gegeben. »Wenn Ferdinand sagt:
›Gar manches Fräulein / Betrachtet ich mit Fleiß, und manches Mal / Bracht
ihrer Zungen Harmonie in Knechtschaft / Mein allzu emsig Ohr‹ – Sie wissen
schon, die Textstelle –, wüsste ich gern, ob es
bedeutet, dass ich mit vielen Frauen zusammen war, und ob ich nicht irgendwie
rüberbringen sollte, dass ich, Sie wissen schon, auf sexuellem Gebiet erfahren bin?«
Meine Mutter errötete noch mehr.
»O Gott !«, stöhnte Elaine Hadley laut.
Und ich – wo war ich? Ich war Ariel – »ein Luftgeist«. Ich wartete
auf den Abgang von Ferdinand und Miranda – Beide ab, wie es in der Regieanweisung heißt. Ich wartete in den Kulissen, mit Caliban,
Stephano (»ein betrunkener Kellner«, wie Shakespeare ihn nennt) und Trinculo;
wir vier kamen in der nächsten Szene vor, in der ich unsichtbar war. Als meine
Mutter bei Kittredges gerissenem Geplauder errötete, kam ich mir schon jetzt
unsichtbar vor – oder wäre es gerne gewesen.
»Ich bin nur die Souffleuse«, versicherte meine Mutter Kittredge
hastig. »Das ist eine Frage an den Regisseur – fragen Sie Mister Abbott«, fuhr sie fort. Die Nervosität meiner Mutter war nicht zu übersehen,
und auf einmal war mir klar, wie sie vor Jahren ausgesehen haben musste, als
sie entweder mit mir schwanger oder schon meine Mutter gewesen war – als sie
gesehen hatte, wie mein Frauenheld -Vater jemand
anders küsste. Mir fiel ein, wie sie das Wort anders betont hatte, als sie mir davon erzählte, genauso unbeteiligt, wie sie
Kittredges absichtliche Fehler korrigiert hatte. (Als wir Der
Sturm vor Publikum aufführten, [133] versprach sich Kittredge kein einziges
Mal – mit keinem Wort. Mir wird im Nachhinein erst klar, wie gut Kittredge auf
der Bühne war.)
Für mich war es äußerst schmerzhaft zu sehen, wie leicht sich meine
Mutter aus der Fassung bringen ließ – durch die leiseste sexuelle Anspielung,
noch dazu von einem Jugendlichen ! Ich ärgerte mich
über mich selbst, weil ich mich für meine eigene Mutter schämte, und wusste
doch, dass jedwede Scham, die ich für sie empfand, von Muriels ewig
herablassender Haltung und ihrem ewigen Gemecker geprägt war. Natürlich ärgerte
ich mich auch über Kittredge, der meine anfällige Mutter – ebenso wie Elaine
und mich – so mühelos aus dem Konzept brachte, doch dann rief meine Mutter um
Hilfe. »Richard!«, rief sie. »Richard! Jacques hat eine Frage zu seiner Figur !«
»O Gott «, stöhnte Elaine wieder – im
Flüsterton; obwohl sie kaum zu hören war, hatte Kittredge es mitbekommen.
»Geduld, liebe Napel«, sagte er und ergriff ihre Hand; und zwar
genauso, wie Ferdinand Mirandas Hand ergreift, bevor beide am Ende der ersten
Szene im dritten Aufzug abgehen – aber Elaine entriss sie ihm.
»Was ist mit deiner Figur, Ferdinand?«, fragte Richard Abbott
Kittredge.
»Noch mehr Verarsche«, sagte Elaine.
»Keine Kraftausdrücke, Elaine!«, tadelte
meine Mutter.
»Miranda würde etwas frische
Weitere Kostenlose Bücher