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In einer Person

In einer Person

Titel: In einer Person Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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dir erzählt?«, mutmaßte Onkel Bob.
Ich muss ihn ungläubig angesehen haben, denn gleich darauf ergänzte er: »Das
wohl eher nicht.«
    »Es ist ein Traum, der sich wiederholt, aber jemand muss es mir erst
mal erzählt haben«, sagte ich.
    »Vielleicht eine Abendunterhaltung unter Erwachsenen – so eine
Geschichte, wie Kinder sie aufschnappen, wenn sie schon im Bett sein sollten,
aber die Erwachsenen belauschen«, sagte Onkel Bob. Auch wenn mir das
glaubwürdiger vorkam als die Möglichkeit, die Latrinengeschichte von meiner Mutter
zu haben, war weder Bob noch ich vollkommen überzeugt. »Nicht alle Rätsel sind
dazu da, gelöst zu werden, Billy«, erklärte er mir mit mehr Überzeugung.
    Kurz nachdem er gegangen war, entdeckte ich noch einen Squashball
unter meiner Bettdecke. Oder war es derselbe?
    Obwohl ich ganz genau wusste, dass meine Mutter mir die Madame-Bovary -Gemeinschaftsklogeschichte nicht erzählt
hatte, fragte ich sie natürlich doch danach. »Die Geschichte hab ich nie auch
nur das kleinste bisschen komisch gefunden«, sagte sie. »Um nichts in der Welt
hätte ich sie dir erzählen mögen, Billy.«
    »Oh.«
    »Vielleicht hat Daddy sie dir erzählt – nachdem ich ihn gebeten hab,
es zu lassen !«
    »Nein, Grandpa hat sie mir eindeutig nicht
erzählt«, sagte ich.
    [129]  »Dann muss es Onkel Bob gewesen sein«, sagte meine Mutter.
    »Onkel Bob sagt, er erinnert sich auch
nicht daran«, erwiderte ich.
    »Bob trinkt – er erinnert sich an vieles nicht«, erklärte mir meine
Mutter. »Und du hattest erst vor kurzem Fieber«, rief sie mir ins Gedächtnis.
»Du weißt, was für Fieberträume man haben kann.«
    »Ich fand die Geschichte jedenfalls lustig – wie der rutschende
Hintern von dem Mann auf den Klobrillen aufklascht!«, sagte ich.
    »Darüber kann ich überhaupt nicht lachen,
Billy.«
    »Oh.«
    Nachdem ich wieder völlig gesund war, fragte ich Richard Abbott, was
er von Madame Bovary hielt. »Ich glaube, damit wirst
du mehr anfangen können, wenn du älter bist, Bill«, erklärte er mir.
    »Wie viel älter?«, wollte ich wissen. (Ich muss vierzehn gewesen
sein – so um den Dreh. Große Erwartungen hatte ich
noch nicht gelesen, weder zum ersten noch zum zweiten Mal, aber Miss Frost
hatte mich schon auf meine Umlaufbahn als Leser geschickt – das weiß ich.)
    »Ich kann ja Miss Frost fragen, in welchem Alter ich es ihrer
Meinung nach lesen sollte«, schlug ich vor.
    »An deiner Stelle würde ich noch ein Weilchen damit warten, sie zu
fragen, Bill«, sagte Richard.
    »Ein wie langes Weilchen?«, fragte ich.
    Doch Richard Abbott, den ich für allwissend gehalten hatte,
antwortete: »Das weiß ich nicht so genau.«
    [130]  Ich weiß nicht so genau, wann meine Mutter als Souffleuse bei
Richards Drameninszenierungen im Theaterclub der Favorite River Academy anfing,
kann mich aber genau erinnern, dass sie bei Der Sturm soufflierte. Manchmal kam es zu Terminproblemen, weil meine Mutter auch noch
den First Sister Players soufflierte, aber Souffleusen mussten nicht bei allen
Proben anwesend sein, und die Aufführungen vor Publikum, die unsere städtische
Laienschauspieltruppe und der Favorite-River-Theaterclub auf die Bühne
brachten, überlappten sich nie.
    In den Proben tat Kittredge gern so, als verspräche er sich, nur
damit meine Mutter ihm soufflierte. »O teuerste Jungfer«, verquatschte sich
Ferdinand an Miranda gewandt in einer unserer ersten Proben, als wir gerade
angefangen hatten, ohne Textbuch zu spielen.
    »Nein, Jacques«, kam es von meiner Mutter. »Es heißt ›O teuerste
Gebieterin‹, nicht Jungfer. «
    Aber Kittredge schauspielerte – er tat nur so, als brächte er seinen
Text durcheinander, um meine Mutter in ein Gespräch zu verwickeln. »Es tut mir
ja so leid, Mrs. Abbott – soll nicht wieder vorkommen«, sagte er zu ihr; und
vermasselte schon gleich seine nächste Dialogzeile.
    »Nein, köstliches Geschöpf«, soll Ferdinand zu Miranda sagen, aber
Kittredge sagte: »Nein, köstliche Gebieterin.«
    »Diesmal nicht, Jacques«, erklärte ihm meine Mutter. »Es heißt
›Nein, köstliches Geschöpf ‹ – nicht Gebieterin. «
    »Wahrscheinlich bemühe ich mich zu sehr, es Ihnen recht zu machen –
ich möchte, dass Sie mich mögen, aber ich fürchte, es klappt nicht, Mrs. Abbott«,
sagte Kittredge zu meiner Mutter. Er flirtete mit ihr, und sie errötete. Mir
war [131]  peinlich, wie oft ich mir meine Mutter als eine Frau vorstellte, die
sich leicht herumkriegen ließ; fast als

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