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In einer Person

In einer Person

Titel: In einer Person Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Luft guttun«, sagte Richard zu Elaine.
»Ein paarmal tief Luft holen, und vielleicht einfach mal alle Wörter
rauslassen, die spontan an die Oberfläche drängen. Mach eine Pause, Elaine – du
am [134]  besten auch, Bill«, empfahl Richard mir. »Wir wollen, dass unsere Miranda
und unser Ariel rollenkonform sind.« (Wahrscheinlich
sah Richard auch mir meine Aufregung an.)
    Am Ende der Hinterbühne und hinter der Tischlerei befand sich eine
Laderampe, auf der Elaine und ich in die kühle Nachtluft hinaustraten. Ich
versuchte, ihre Hand zu halten; zunächst zog sie sie weg, wenn auch nicht so
heftig wie bei Kittredge. Dann, während die Tür hinter uns noch offen stand,
gab sie mir doch ihre Hand und lehnte ihren Kopf an meine Schulter. »Sind sie
nicht ein süßes Pärchen?«, hörten wir Kittredge zu jemandem, oder allen, sagen,
bevor sich die Tür hinter uns schloss.
    »Wichser!«, brüllte Elaine Hadley. »Arsch mit Ohren!«, rief sie und
sog in großen Zügen die kalte Luft ein, bis ihre Atmung sich wieder so weit
beruhig hatte, dass wir ins Theater zurückgehen konnten, wo Elaines Brille
allerdings sofort wieder beschlug.
    »Ferdinand sagt nicht zu Miranda, dass er sexuell erfahren ist«,
erläuterte Richard gerade Kittredge, »sondern wie aufmerksam er Frauen zugehört hat und dass sie ihn oftmals stark beeindruckt haben. Er
meint nichts weiter, als dass keine ihn so stark beeindruckt hat wie Miranda.«
    »In der Dialogstelle geht es um Eindrücke, Kittredge«, brachte Elaine heraus. »Nicht um Sex.«
    Ariel kommt, unsichtbar – so die
Regieanweisung zu meinem nächsten Auftritt (3. Aufzug, 2. Szene). Doch ich war
bereits weitgehend unsichtbar; irgendwie hatte ich es
geschafft, allen den Eindruck zu vermitteln, Elaine Hadley wäre das Objekt
meiner Begierde. Und Elaine zog da einfach mit – vielleicht aus Gründen des
Selbstschutzes. Aber [135]  Kittredge grinste uns nur auf seine übliche spöttische,
überhebliche Art an. Ich glaube nicht, dass das Wort Eindruck Kittredge je viel bedeutet hat. Ihm ging es bestimmt immer nur um Sex – richtigen Sex. Und selbst wenn sämtliche Anwesenden davon
überzeugt waren, dass Elaine und ich sexuelles Interesse aneinander hatten, so
blieb Kittredge womöglich als Einziger skeptisch – zumindest vermittelte sein
höhnisches Grinsen Elaine und mir diesen Eindruck.
    Vielleicht wandte sich Elaine deswegen plötzlich von ihm ab und
küsste mich. Unsere Lippen berührten sich kaum, doch es kam zu einem
tatsächlichen (wenn auch flüchtigen) Kontakt; es muss wohl sogar so ausgesehen
haben, als erwiderte ich ihren Kuss, wenn auch nur kurz. Das war alles. Als
Kuss machte es nicht viel her; Elaines Brille beschlug nicht einmal.
    Ich nehme nicht an, dass Elaine auch nur ein Fitzelchen sexuelles
Interesse an mir hatte; ihr muss von Anfang an klar gewesen sein, dass mein Interesse nur geheuchelt war. Wir waren
Laiendarsteller reinsten Wassers – ihre unschuldige Miranda und mein weitgehend
unsichtbarer Ariel –, aber wir schauspielerten in stillschweigendem
Einvernehmen.
    Schließlich hatten wir beide etwas zu verbergen.

[136]  4
    Elaines BH
    Bis heute weiß ich nicht, was ich von dem elenden Caliban
halten soll – dem Scheusal, das sich durch die versuchte Vergewaltigung
Mirandas Prosperos gnadenlose Verachtung verdient. Prospero scheint eine
gewisse Verantwortung für ihn zu übernehmen – »Und dies Geschöpf der Finsternis
erkenn ich / Für meines an.«
    Für eine so egoistische Person wie Kittredge drehte sich Der Sturm natürlich nur um Ferdinand; es ist eine
Liebesgeschichte, in der Ferdinand um Miranda wirbt und sie auch bekommt. Doch
Richard Abbott nannte das Stück »eine Tragikomödie«, und während dieser zwei
(wenn nicht drei) Monate im Herbst 1959, als Elaine Hadley und ich für das
Stück probten, bestand unser persönliches Drama in unserer viel zu großen Nähe
zu Kittredge, während das Stück selbst für Miranda und Ariel ein glückliches
Ende vorsieht.
    Meine Mutter, die immer darauf bestand, nur Souffleuse zu sein,
hatte die seltsame Marotte, für jeden Schauspieler die exakte Auftrittslänge zu
ermitteln; dazu benutzte sie einen billigen Küchenwecker und notierte (am Rand
des vor ihr liegenden Textbuchs) den ungefähren Prozentsatz der Zeit, die eine
Figur wirklich auf der Bühne zubrachte. Ich fand den Wert dieser Berechnungen
meiner Mom [137]  grundsätzlich fragwürdig, doch sowohl Elaine wie auch ich freuten
uns darüber, dass Ferdinand nur

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