In einer Person
»Wirklich sehr aufmerksam von
dir.« Sie biss sich auf die Unterlippe, was sie, wie ich wusste, nur tat, wenn
sie sich nach ihm verzehrte und sich selbst deswegen hasste. (Wie ich dieses
Gefühl kannte!)
Dann, auf einmal, nach Monaten solch theatralischer Nähe, brach
unser Kontakt zu Kittredge ab; Elaine und ich waren am Boden zerstört. Richard
wollte mit uns über die Wochenbettdepression reden, die Schauspieler nach einem
Engagement gelegentlich befällt. »Nicht wir haben Der Sturm geboren«, sagte Elaine ungeduldig, »das war Shakespeare !«
Mir persönlich fehlten auch die Proben auf Miss Frosts Messingbett,
aber als ich das Elaine gestand, sagte sie nur: »Wieso? Wir haben schließlich
nie rumgemacht oder so was.«
Ich mochte Elaine immer mehr, wenn auch nicht auf diese Art, aber
man muss aufpassen, was man seinen Freunden sagt: Wenn man möchte, dass sie
sich besser fühlen, darf man es nicht übertreiben.
»Na ja, das lag aber nicht daran, dass ich nicht mit dir rummachen wollte «, sagte ich ihr.
Wir waren – bei offener Tür – an einem Samstagabend zu Beginn des
Winterhalbjahres in Elaines Zimmer; ich war [152] immer noch siebzehn und Elaine
sechzehn. Auf der Favorite River Academy war Filmabend, und durch Elaines
Zimmerfenster sahen wir das flackernde Licht des Filmprojektors in der neuen
zwiebelförmigen Sporthalle, die man an die alte Sporthalle angebaut hatte und
in der Elaine und ich an Winterwochenenden Kittredge häufig beim Ringen zusahen – an diesem Wochenende allerdings nicht; die Ringer kämpften auswärts, sie
rangen irgendwo südlich von uns, in Mount Hermon vielleicht oder in Loomis.
Wenn die Mannschaftsbusse zurückkamen, sahen wir sie aus Elaines
Fenster im vierten Stock. Der Lärm der schreienden Jungs hallte im Innenhof so
laut, dass man es selbst bei (wegen der Januarkälte) geschlossenen Fenstern gut
hören konnte. Die Ringer trugen ihre Ausrüstung immer von den Bussen zu der
neuen Sporthalle, wo die Spinde und Duschen waren. Falls der Film noch lief,
würden einige Ringer in der Halle bleiben, um sich den Schluss anzusehen.
Doch an diesem Samstagabend wurde ein Western gezeigt; nur Trottel
sahen sich das Ende eines Western an, ohne dessen Anfang gesehen zu haben – das
Ende war immer gleich. (Es gab eine Schießerei, und die Bösen bekamen ihre
Strafe.) Elaine und ich hatten gewettet, ob Kittredge, falls der Bus des
Ringerteams früh genug zurückkam, in der Sporthalle bleiben und sich den
Schluss des Western ansehen würde.
»Kittredge ist nicht blöd«, hatte Elaine gesagt. »Er hängt doch
nicht in der Sporthalle rum, um sich die letzte Viertelstunde einer Pferdeoper
anzusehen.« (Elaine hielt nicht viel von Western, die sie nur »Pferdeopern«
nannte, wenn [153] sie nett sein wollte; meist sagte sie »Macho-Propaganda« dazu.)
»Kittredge ist Sportler – der hängt mit den anderen Sportlern in der
Halle ab«, hatte ich entgegnet. »Egal, was für ein Film läuft.«
Die Ringer, die nach ihren Auswärtswettkämpfen nicht in der Halle
abhingen, brauchten nicht weit zu gehen. Das vierstöckige Wohnheim für
Sportler, genannt Tilley Hall, lag direkt neben der Sporthalle. Aus welch
hirnlosem Grund auch immer machten die Ringer auf dem Innenhof jedes Mal einen
Heidenlärm, wenn sie von der Sporthalle nach Tilley rübergingen oder -liefen.
Mr. Hadley und seine unscheinbare Frau Martha waren nicht da; wie so
oft – besonders wenn in Ezra Falls ein ausländischer Film lief – waren sie mit
Richard und meiner Mom ins Kino gegangen. Auf der Anzeigetafel des Kinos in
Ezra Falls stand immer in Großbuchstaben, wenn ein Film UNTERTITEL hatte. Das war nicht nur eine Warnung an die einheimischen Vermonter, die
abgeneigt (oder unfähig) waren, Untertitel zu lesen; es diente auch als
Alarmzeichen der anderen Art, dass nämlich ein ausländischer Film
wahrscheinlich freizügiger war, als es viele Vermonter gewohnt waren.
Wenn meine Mom, Richard und die Hadleys nach Ezra Falls fuhren, um
sich solche untertitelten Filme anzusehen, mussten Elaine und ich in der Regel
zu Hause bleiben. Während unsere Eltern sich gemeinsam Sexfilme ansahen, waren
Elaine und ich folglich allein – entweder in ihrem oder in meinem Zimmer, aber
immer bei offener Tür.
Elaine ging nie zum Filmabend in die Favorite-River- [154] Sporthalle,
selbst wenn kein Western gezeigt wurde. Sie hielt nichts von der
Jungenschul-Atmosphäre in der Sporthalle der Academy. Ab einem gewissen Alter
fühlten sich
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