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In einer Person

In einer Person

Titel: In einer Person Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Sitzgelegenheit«, sagte Miss
Frost, »außer ihr wollt in der Wanne proben.« Es schien sie überhaupt nicht zu
beunruhigen, dass Elaine und ich je etwas im Bett machen oder gemeinsam ein Bad nehmen könnten.
    Miss Frost wollte gerade die Tür schließen und uns in ihrem
Behelfsschlafzimmer allein lassen, als Elaine Hadley ausrief: »Das Zimmer ist perfekt ! Danke für Ihre Hilfe, Miss Frost!«
    »Wirklich gern geschehen, Elaine«, sagte Miss Frost. »Ich versichere
euch, ihr könnt hier drin aus Leibeskräften schreien, ohne dass euch jemand
hört.« Doch ehe Miss Frost die Tür schloss, sah sie mich lächelnd an. »Falls
ihr Probleme beim Proben habt – zum Beispiel bei der Betonung oder auch bei der
Aussprache –, na, du weißt ja, wo du mich findest.« Mir war nicht bewusst
gewesen, [146]  dass Miss Frost meine Ausspracheprobleme bemerkt hatte; ich hatte
in ihrer Gegenwart eigentlich sehr wenig geredet.
    Ich war zu peinlich berührt, um etwas zu sagen, aber Elaine nicht.
»Jetzt, wo Sie es erwähnen, Miss Frost, Billy hat tatsächlich ein Problem mit
Ariels Wortschatz, aber wir arbeiten dran«, sagte Elaine.
    »Worum geht es, William?«, fragte mich Miss Frost und schenkte mir
ihren durchdringendsten Blick. (Gott sei Dank fehlte in Ariels Wortschatz das
Penis-Wort.)
    Caliban beschimpft Ariel im dritten Aufzug mit »Du lump’ger Narr!«,
nachdem der ihn zweimal einen Lügner genannt hat.
    »Ich muss ›Du lump’ger Narr!‹ sagen«, erzählte ich Miss Frost,
bemüht, »Du lump’ger« zwei- und nicht dreisilbig auszusprechen.
    »Manchmal sagt er ›lumpiger‹, dann stimmt die Länge nicht mehr«,
sagte Elaine zu Miss Frost.
    »Oje«, sagte die Bibliothekarin und schloss angesichts dieses Elends
kurz die Augen. »Sieh mich an, William«, sagte Miss Frost. Wenigstens dieses
eine Mal musste ich sie nicht verstohlen ansehen. »Sag ›Mumpitz‹, William«,
befahl sie mir.
    Das fiel mir nicht schwer. Was die von mir so angebetete Miss Frost
vorschlug, war alles andere als Mumpitz. »Mumpitz«, wiederholte ich und sah sie
dabei immer noch unverwandt an.
    »Also, William, denk daran – lump’ger hat
genauso viele Silben wie Mumpitz «, sagte Miss Frost.
    »Na los, sag’s schon«, befahl mir Elaine.
    [147]  »Du lump’ger Narr!«, sagte ich, so wie im Stück Caliban.
Zweisilbig, genau wie in dem Wort Mumpitz.
    »Mögen alle deine Probleme so leicht zu lösen sein, William«, sagte
Miss Frost. »Ich mag Textproben«, sagte sie im Hinausgehen zu Elaine und machte
die Tür hinter sich zu.
    Ich war überrascht, dass Miss Frost überhaupt wusste, was das Wort
Textprobe bedeutete. Als Richard sie fragte, ob sie je geschauspielert habe, hatte sie rasch geantwortet: »Nur in Gedanken. Als ich jünger war –
ständig.« Und doch hatte sie sich als Hauptdarstellerin bei den First Sister
Players einen Namen gemacht.
    »Miss Frost ist ideal für Ibsen-Stücke!«,
hatte Nils zu Richard gesagt, doch sie hatte nicht viele Rollen gespielt – nur
die schwergeprüften Frauen in Hedda Gabler, Nora oder Ein Puppenheim und der (Scheiß-) Wildente.
    Eins steht fest: Für jemanden, der zuvor nur in Gedanken
Schauspielerin war, aber als Darstellerin der Frauen bei Ibsen ein Naturtalent,
kannte sich Miss Frost wirklich gut mit dem Proben von Texten aus – und sie
hätte Elaine Hadley und mir nicht besser helfen können.
    Zuerst war es Elaine und mir peinlich, es uns auf Miss Frosts Bett
bequem zu machen. Es war zwar nur ein schmales Doppelbett, doch mit einem
ziemlich hohen Messingrahmen; als wir beide (ein wenig verschämt) nebeneinander
auf der Matratze saßen, reichten unsere Füße nicht bis auf den Boden. Doch wenn
wir uns lang auf den Bauch legten, mussten wir uns verrenken, um einander
ansehen zu können; erst als wir die Kissen gegen die Messingstäbe am Kopfende
lehnten, konnten wir gleichzeitig auf der Seite [148]  liegen, einander ansehen und
proben – jeder mit seinem Text vor sich, zum Nachlesen.
    »Wir sind wie ein altes Ehepaar«, stellte Elaine fest; der Gedanke
war mir auch schon gekommen.
    An unserem ersten Abend in Miss Frosts Schneesturmzimmer schlief
Elaine ein. Ich wusste, dass sie früher aufstand als ich, weil sie mit dem Bus
zur Schule in Ezra Falls fahren musste; deshalb war Elaine auch immer müde. Als
Miss Frost an die Tür klopfte, schreckte Elaine hoch; sie schlang die Arme um
meinen Hals und hielt mich immer noch umklammert, während Miss Frost eintrat.
Obwohl es dadurch so aussah, als hätten

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