In einer Person
Elaine und ich etwas miteinander,
glaube ich nicht, dass Miss Frost annahm, wir hätten rumgeknutscht. Elaine und
ich machten bestimmt nicht den Eindruck, als hätten wir gefummelt, und Miss
Frost sagte nur: »Ich schließe bald. Sogar Shakespeare muss mal nach Hause und
ein wenig schlafen.«
Wie jeder weiß, der je an einer Theaterproduktion mitgewirkt hat,
ist es nach all den anstrengenden Proben und dem endlosen Auswendiglernen –
wenn man seinen Text endlich intus hat – irgendwann selbst mit Shakespeare
vorbei. Wir führten Der Sturm viermal auf. Es gelang
mir bei jedem Auftritt, bei lump’ger an Mumpitz zu denken, auch wenn ich bei der Premiere fast
»Mumpitzbrüste« gesagt hätte, als ich glaubte, Kittredges wunderschön
gekleidete Mutter im Publikum zu sehen – nur um in der Pause von Kittredge zu
erfahren, dass ich mich geirrt hatte.
»Die Frau, die du für meine Mom hältst, ist in Paris«, sagte
Kittredge verächtlich.
»Ach.«
[149] »Du musst irgendeine andere Frau mittleren Alters gesehen haben,
die zu viel Geld für Klamotten ausgibt«, sagte Kittredge.
»Deine Mutter ist sehr schön«, sagte ich ihm. Es war mir ernst, und
ich meinte es ausgesprochen nett.
»Deine Mom ist schärfer «, teilte Kittredge
mir knapp mit. Seine Bemerkung klang nicht die Spur sarkastisch oder anzüglich;
er redete genauso sachlich, wie als er mir mitgeteilt hatte, dass sich seine
Mutter (oder die Frau, die gar nicht seine Mutter war) in Paris befand. Bald
sollte das Wort scharf – in der von Kittredge
benutzten Bedeutung – in Favorite River die Runde machen.
Später sagte Elaine zu mir: »Was soll das geben, Billy – willst du
sein Freund werden?«
Elaine war eine ausgezeichnete Miranda, obwohl sie am Premierenabend
nicht ihren besten Auftritt ablieferte; Mom musste ihr soufflieren. Was
wahrscheinlich meine Schuld war.
»Mancher edle Schoß trug schlechte Söhne schon«, sagt Miranda zu
ihrem Vater, in Anspielung auf Prosperos Bruder Antonio.
Ich hatte mit Elaine über die Sache mit dem edlen Schoß gesprochen,
allerdings vielleicht zu oft. Ich hatte Elaine meine Gedanken über meinen
leiblichen Vater erzählt – dass ich alles Schlechte an mir dem Codeknacker, den
Genen des Sergeants, zuschrieb (nicht denen meiner Mom). Damals zählte ich
meine Mutter noch zu den edlen Schößen der Welt. Sie mochte beschämend verführbar gewesen sein (mit genau dem Wort hatte ich sie
gegenüber Elaine charakterisiert), aber im Grunde hatte sich Mary Marshall Dean [150] oder Abbott nichts zuschulden kommen lassen. Meine
Mutter war vielleicht leichtgläubig, gelegentlich auch unbedarft – wie ich zu Elaine sagte, um das Wort zurückgeblieben zu vermeiden –, aber nie »schlecht«.
Zugegeben, es war lustig, dass ich das Wort Schoß nicht richtig aussprechen konnte – auch den Genitiv nicht. Elaine und ich
mussten darüber lachen, dass ich bei dem Wort kein langes o hinbekam.
»Da wird nicht geschossen, Billy!«, hatte
Elaine gerufen. »Es heißt Schoß, nicht schoss !«
Es war tatsächlich komisch. Was konnte ich schon mit dem Wort Schoß anfangen (oder des Schoßes )?
Ich bin mir aber sicher, dass Elaine deshalb am Premierenabend an
den Spross denken musste – »Mancher edle Spross trug schlechte Söhne schon«, wie Elaine (als
Miranda) fast gesagt hätte. Offenbar merkte Elaine, wie sie Spross sagen wollte, und brach ab, kurz nachdem sie »Mancher edle –« gesagt hatte. Es
folgte, wovor jeder Schauspieler Angst hat: eine beklemmende Stille.
»Schoß«, flüsterte meine Mutter; sie hatte das für eine Souffleuse
ideale, weil beinahe unhörbare Flüstern.
»Schoß!«, rief Elaine Hadley. Richard (als
Prospero) war zusammengezuckt. »Mancher edle Schoß trug schlechte Söhne
schon!«, sagte Miranda, nun wieder in ihrer Rolle, zu energisch. Es kam nicht
wieder vor.
Natürlich konnte sich Kittredge einen Kommentar nicht verkneifen.
»An dem Wort Schoß musst du noch arbeiten,
Napel«, sagte er zu Elaine. »Wahrscheinlich bewirkt dieses Wort bei dir eine
gewisse nervöse Spannung. Du solltest dir im [151] Stillen sagen: ›Jede Frau hat
einen Schoß – selbst ich habe einen Schoß. Schöße
sind nichts Besonderes.‹ Wir können das gemeinsam einüben – falls es hilft. Du
verstehst schon, ich sage: ›Schoß‹, und du sagst: ›Schöße sind nichts
Besonderes‹, oder ich sage: ›Schöße‹, und du sagst: ›Ich hab einen!‹ – so was in der Richtung.«
»Danke, Kittredge«, sagte Elaine.
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