In einer Person
drohte. Elaine
legte mit einer für mich unerwarteten Aggressivität plötzlich ihre Hand auf
ebendie Genitalien, die wir laut Dr. Grau noch nicht als unsere verdammten
Geschlechtsorgane »erkannt« hatten! Für mich stand zweifelsfrei fest, was und
wo meine »einzigen oder primären Geschlechtsorgane« waren, und als Elaine sie
packte, zuckte ich zusammen.
»O… mein… Gott!«, rief Elaine so laut, dass das nähere meiner beiden
Ohren vorübergehend taub wurde. »Ich kann mir nicht vorstellen, wie es wäre,
wenn ich so etwas hätte!«
Auch das war sexuell irritierend. Sollte das heißen, dass Elaine
sich nicht vorstellen konnte, wie es wäre, einen Penis in
sich zu haben, oder meinte Elaine damit, sie könne es sich nicht
vorstellen, ein Junge zu sein und einen eigenen Penis zu haben? Ich fragte
nicht. Ich war erleichtert, dass sie meine Eier aus ihrem nicht gerade
zimperlichen Griff entlassen hatte, doch Elaine hielt immer noch meinen Penis [166] fest,
und ich fummelte immer noch an ihren Brüsten herum. Hätten wir die Zungenküsse
fortgesetzt, ließe sich unmöglich sagen, wohin das obenerwähnte »Aufschaukeln«
vielleicht geführt hätte, doch wir hatten eben erst begonnen, uns wieder zu
küssen – zuerst zögernd, wobei nur die Zungenspitzen Kontakt aufnahmen. Ich
sah, dass Elaine die Augen schloss, und folgte ihrem Beispiel.
So fand ich heraus, dass ich Elaine Hadleys Brust halten und mir
gleichzeitig vorstellen konnte, wie ich eine ähnlich freizügige Miss Frost
betatschte. (Miss Frosts Brüste waren vermutlich kaum größer als die von
Elaine, stellte ich mir vor.) Mit geschlossenen Augen konnte ich mir sogar
vorstellen, die Hand an meinem Penis sei nicht die kleine von Elaine, sondern
die bei weitem größere von Miss Frost (die sich in diesem Fall wohl
zurückhielt). Und als die Zungenküsse intensiver wurden (Elaine wie auch ich
waren bald außer Atem), stellte ich mir vor, dass sich Miss Frosts lange Zunge
gegen meine schob und dass wir eng umschlungen auf dem Messingbett in ihrem
Kellerrefugium in der Bibliothek von First Sister lagen.
Als die Dieselabgase des ersten zurückkehrenden Mannschaftsbusses
durch den Spalt in Elaines Fenster drangen, bildete ich mir ein, den
Ölheizkessel neben Miss Frosts ehemaligem Kohlenkeller-Schlafzimmer zu riechen.
Als ich die Augen aufschlug, rechnete ich fast damit, Miss Frost vor mir zu
sehen, doch stattdessen war da meine Freundin Elaine, mit fest geschlossenen
Augen.
Während ich mir Miss Frost vorgestellt hatte, war mir nie der
Gedanke gekommen, dass auch Elaine sich etwas vorgestellt haben könnte. Nicht
überraschend, war der Name [167] auf ihren Lippen, den sie mir irgendwie in den
Mund hauchte, »Kittredge!« (Elaine hatte die Dieselabgase des heimkehrenden
Busses korrekt identifiziert; sie fragte sich, ob es der Bus des Ringerteams
war, weil sie sich Kittredge vorgestellt hatte, während ich mir Miss Frost
vorgestellt hatte.)
Elaines Augen standen jetzt weit offen. Bestimmt sah ich genauso
schuldbewusst aus wie sie. Mein Penis pochte. Wenn ich spüren konnte, wie er
puckerte, konnte sie es auch, das wusste ich.
»Dein Herz schlägt, Billy«, sagte sie.
»Das ist nicht mein Herz«, widersprach ich.
»Ist es doch – dein Herz schlägt in deinem Penis«, sagte Elaine.
»Schlagen die Herzen aller Jungs da?«
»Ich kann nicht für andere Jungs sprechen«, antwortete ich. Doch sie
hatte meinen Penis losgelassen und sich von mir abgewandt.
Vor der Sporthalle standen mehr als ein geparkter Bus mit laufendem
Dieselmotor; das flackernde Licht des Filmprojektors leuchtete immer noch von
der Sporthalle herüber, und durch den Innenhof zwischen den Wohnheimen hallte
das Gerufe und Gejohle der zurückkehrenden Sportler – darunter auch die Ringer,
vielleicht, vielleicht auch nicht.
Elaine lag jetzt auf dem Bett, und ihre Stirn berührte fast das
Fensterbrett, wo die kalte Zugluft aus dem Spalt des geöffneten Fensters am
kältesten war. »Als ich dich geküsst und deinen Penis gehalten habe und als du
meine Brust gehalten hast, dachte ich an Kittredge – diesen Scheißkerl«,
gestand Elaine.
»Ich weiß – ist schon in Ordnung«, sagte ich ihr. Ich [168] wusste, was
für eine gute und ehrliche Freundin sie war, dennoch konnte ich ihr nicht
sagen, dass ich an Miss Frost gedacht hatte.
»Nein, es ist nicht in Ordnung«, sagte
Elaine; sie weinte.
Elaine lag am Fuß ihres Bettes auf der Seite, mit dem Gesicht zum
Fenster, und ich machte mich
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