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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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behaupten, daß ich mich diesmal danach selbst umbringen würde«, gestand Jamie leise, »aber dazu würde ich nie den Mut aufbringen.«

14
     
    Als ihr Sohn Cameron sechzehn Jahre alt war, hatte ihn Ellen MacDonald einmal mit einem Mädchen überrascht. Sie hatte an seine Zimmertür geklopft, so wie immer, doch nur kurz, und sofort danach die Tür geöffnet. Auf dem Bett kniete Cam mit einem Mädchen, das sie nie zuvor gesehen hatte.
    Cam hatte sich das Hemd ausgezogen, das Mädchen desgleichen. Seine Hände ruhten auf den Brüsten der Kleinen, und einen Augenblick lang nahm Ellen nichts anderes wahr – mit dem Neid der Erwachsenen starrte sie auf diese hohen, runden Halbkugeln, die so aussahen, wie es ihre Brüste nie mehr könnten. Sie mußte einen Laut von sich gegeben haben, denn das Mädchen blickte auf und quiekte. Cams Kopf fuhr zu seiner Mutter herum, und seine Lippen flüsterten lautlos Silben, die er nicht auszusprechen vermochte.
    Danach konnte Ellen ihrem Sohn lange nicht in die Augen sehen. Nicht seine Scham oder ihre Verlegenheit belasteten ihre Beziehung. Sondern etwas, das sie nie für möglich gehalten hätte, wenn es ihr jemand erzählt hätte; etwas, das ihr noch nach all den Jahren vor Augen flimmerte wie eine rote Fahne: daß innerhalb von Sekunden aus ihrem Kind ein Mann geworden war.
    Ellen war nicht in Cams Haus geblieben, nachdem sie ihn mit Mia erwischt hatte. Sie mißtraute sich selbst. Damals hatte sie die Episode den überaktiven Hormonen eines Teenagers zugeschrieben. Doch hier lag der Fall anders. Und wo sie einst geschwiegen hatte, wollte sie nun vor Entrüstung wie ein Vulkan explodieren.
    Wenn sie gewußt hätte, wo Allie sich aufhielt, hätte sie sie angerufen. Statt dessen brachte Ellen zu Hause zwei volle Stunden damit zu, ihren inneren Frieden zurückzuerobern. Dann ergab sie sich in ihre Wut und holte ihre Wünschelrute hervor. Sie hielt sie auf Hüfthöhe von sich, mit geballten Fäusten, um die Stöße abzufangen. Dicht gefolgt von ihrem Hund, ging Ellen von Raum zu Raum – angefangen in ihrem Schlafzimmer, wo sie Cam empfangen hatte, über das Säuglingszimmer, das später Ians Arbeitszimmer geworden war, und dann in Cams letzte vier Wände.
    In der Mitte des Zimmers blieb sie mit den elastischen Wünschelruten stehen. Sie blickte von der Tapete – große Klipper mit unwahrscheinlich topplastigen Masten – auf das schmale Bett, das Cam von der achten Klasse an zu kurz gewesen war. Sie blickte auf ihre Ruten und fluchte. Diese zitterten leicht, aber schlugen nicht aus. Sie konnte nicht einmal sicher sein, ob das Beben in den dünnen Kupferstangen nicht von ihrer eigenen inneren Unruhe herrührte.
    Aber sie wollte verdammt sein, wenn sie die Suche jetzt aufgab. Daher kehrte sie zurück ins Schlafzimmer und schritt erneut den Weg zum Säuglingszimmer und zu Cams Raum ab. Ellen schnupperte konzentriert, spürte aber nur einen leisen Hauch von Putzmittel, wo eigentlich starker und beißender Gestank herrschen sollte; etwas, das schon so lange vor sich hin faulte, wäre doch bestimmt dunkel, tief, übelriechend. Sie ließ sich auf die Knie nieder, um unter der Heizung nachzusehen; sie überprüfte den Fleck neben dem Kamin, wo sich einst Trockenfäule ausgebreitet hatte. Sie würde nicht aufgeben, sagte sie sich, bis sie den Ursprung jener Verkommenheit gefunden hatte, die in die Seele ihres Kindes gesickert war.
    Seine verdammte Mutter. Cam folgte Mia durch das Haus, während sie die verbrannten Waffeln ins Spülbecken kippte, ihre Socken aus den Spalten im Sofa zog und ihre Zahnbürste aus dem Bad holte. Er hatte einen Steifen wie noch nie, weil sie das vorhin nicht zu Ende hatten bringen können, und er wollte mit ihr reden; aber alles, was ihm einfiel, war, daß ihnen immer noch einundzwanzig Stunden blieben.
    »Wohin willst du?« fragte er.
    Mia packte Kafka in ihren Rucksack. »Was glaubst du denn?«
    Cam rieb mit der nackten Zehe über einen rauhen Fleck im Holzboden. »Dann komme ich später vorbei. Nachdem ich meine Mutter erdrosselt habe.«
    »Nein«, wehrte Mia ab. Sie hängte sich den Rucksack über die Schulter. Als das Vynil über ihre Jacke glitt, verursachte es ein leises Ratschen wie das Zuziehen eines Reißverschlusses, das in Cams Ohren grauenvoll endgültig klang. »Ich habe noch was zu tun.«
    »Du wolltest es mit mir tun«, erhob er Einspruch. »Du wolltest den ganzen Tag hierbleiben.«
    »Das war vorher«, meinte Mia. Sie wischte sich das Haar aus den

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