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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Augen, und der Ärmel rutschte ihr über die Hand, die darin verschwand wie die eines kleinen Kindes.
    Er nahm ihr den Rucksack ab und schob den Ärmel des Mantels nach oben, so daß ihre Finger wieder zum Vorschein kamen. Dann legte er seine Hand unter ihre und küßte ihre Knöchel. »Sie wird nichts verraten«, versprach er.
    »Das tut nichts zur Sache! Sie weiß es.«
    Cam war klar, daß er sie nicht aufhalten konnte, deshalb folgte er ihr die Treppe hinab. Als sie aus der Tür gehen wollte, ohne sich von ihm zu verabschieden, faßte er sie an der Schulter und drehte sie zu sich herum. »Weißt du, wie es ist« schniefte sie, »wenn man nur glücklich werden kann, indem man alle anderen unglücklich macht?«
    Cam sah, wie sich seine Hand um Mias Wange schmiegte. Als er sie zurückzog, war seine Handfläche von dünnen nassen Linien überzogen. Er dachte an das bekümmerte Gesicht seiner Mutter, dann an Allie. »Ich kann es mir ziemlich gut vorstellen«, knurrte er.
    In ihrer Eile hatte Mia die Hälfte ihrer Sachen vergessen. Ein Armband, das Cam in die Tasche schob, einen Satz saubere Unterwäsche, der ihr während des überstürzten Packens aus dem Rucksack gefallen war, und ein T-Shirt mit einer aufgedruckten Minnie-Maus und dem Schriftzug Mia Townsend darüber. All das stopfte Cam in die Schublade zu seinen Unterhosen und Socken. Dann streifte er sich einen Pullover von St. Andrews und eine Jeans über und fuhr zu seiner Mutter.
    Der Eingang stand offen; seine Mutter war nirgendwo zu sehen. Ihre Wünschelruten lagen auf dem Küchentisch, und zwar über Kreuz, was Cam ihren emotionalen Aufruhr deutlicher vor Augen führte, als alles Geschrei und Gebrüll es vermocht hätten. Man ließ Wünschelruten niemals über Kreuz liegen; wie oft hatte sie ihm das gesagt? Behutsam hob er die Kupferstäbe hoch, überrascht über das Summen, das dabei in seinen Unterarmen entstand, und legte sie in ihren schützenden Holzkasten zurück.
    Er blickte auf und sah seine Mutter vor sich stehen. »Verdammt«, er versuchte zu lächeln, »du bist wirklich gut im Anschleichen.«
    Ellen verschränkte die Arme vor der Brust.
    »Wirst du es Allie erzählen?« fragte Cam.
    Sie sah ihm in die Augen. »Das ist deine Strafe«, sagte sie.
    Er hörte, wie das Haus sich um sie herum festsetzte, das Knarren und Stöhnen, das Cam einst aus seinem Zimmer in die starken Arme seiner Mutter rennen ließ. »Sollen wir darüber reden?« fragte Cam leise.
    Ellen schüttelte den Kopf. »Ich kenne dich nicht«, antwortete sie tonlos. »So habe ich dich nicht erzogen.«
    Darin schwang unausgesprochen mit: Und dein Vater auch nicht. Wie oft hatte er diese Lektion schon gehört? Ein MacDonald lügt nicht und stiehlt nicht. Er steht zu seinem Wort. Und er bricht niemals, niemals einen besiegelten Schwur.
    Wenn man als ein MacDonald ein Gelübde ablegte, dann nahm man es mit ins Grab.
    Jamies Gesicht tauchte vor Cams innerem Auge auf. Was hatte er seiner Frau geschworen?
    Und was hatte Cam seiner geschworen?
    Er dachte an Allie und sank sichtbar in sich zusammen, seine Schultern sackten herab, und sein Kopf beugte sich unter der Last seiner Triebe. Dann fiel ihm wieder ein, daß diese Sache nichts mit Allie zu tun hatte. Daß er Mia anbetete, war keine Trotzreaktion gegen seine Frau und auch nicht darauf zurückzuführen, daß ihm seine solide, stabile Ehe nicht reichte. Es war ein selbstsüchtiger Akt gewesen und wahrscheinlich das einzige, was Cam in seinem Leben ausschließlich aus Lust vollbracht hatte.
    Er wollte abgeschnittene Jeans mit verblichenen khakifarbenen T-Shirts tragen und Reiseschriftsteller werden; statt dessen schlüpfte er in die Uniform eines Chiefs der Polizei. Er wollte den ganzen Erdkreis überfliegen und sich wie eine Libelle überall da niederlassen, wo es ihm gefiel; statt dessen fesselte und band ihn Wheelock. Er hatte ein gesichtsloses Wesen unter den Massen sein wollen, die sich an der Riviera oder bei den Stierkämpfen drängten; statt dessen trug er den Titel eines Clanchefs und war allen Leuten landauf, landab wohlbekannt.
    Seine Sehnsucht nach Mia nahm ihn so mit, daß seine Überzeugungen bis in die Fundamente erschüttert wurden; und in einem Augenblick, in dem er sich nicht einmal hätte zurückhalten können, wenn er gewollt hätte, ergriff er die Gelegenheit, ehe sie sich wieder entzog.
    Ellen machte einen Schritt auf ihn zu. Cam fühlte sich daran erinnert, wie sie, Sekunden ehe der Blitz ihrer Hand über seinem

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