In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)
er Allie nicht ganz vergessen, die den Pfannenschaber anders hielt und die eigenhändig die Kacheln hinter der Spüle mit Sprenkeln verziert hatte, während sie zu den Klängen einer Motown-CD durch die Küche getänzelt war. Es fiel ihm schwer, sich ein Leben vorzustellen, das nicht von Allie geprägt war; und gleichermaßen unmöglich zu verstehen war, wie er so lange ohne Mia hatte existieren können.
Cam sah sie an und fragte sich, was wohl in Gang gekommen wäre, wenn er damals auf einen Drink im ›La Mano del Diavolo‹ eingekehrt wäre. Wenn er Mia nach dem Tod seines Vaters nach Wheelock mitgebracht und sie statt Allie geheiratet hätte? Irgendwo im Hinterkopf war ihm klar, daß es nie so weit gekommen wäre; daß er sich auch deswegen so zu Mia hingezogen fühlte, weil sie ganz nach Belieben durch die Welt ziehen konnte. Sie wäre nicht mehr dieselbe Frau, sobald man ihr Grenzen setzte.
Trotzdem beherrschte ihn der alles überwältigende Wunsch, sie noch ein bißchen um sich zu haben. Seine Augen wurden dunkel in den Winkeln, und Mias Mund zuckte, als er sie zu Boden zwang – nicht elegant wie in einem Hollywood-Streifen, sondern plump, so daß sie zum Schluß übereinanderfielen und ihnen der Atem in einem gemeinsamen Stoß aus der Lunge gepreßt wurde.
Cams Gesicht senkte sich über ihres. »Die Waffeln werden verbrennen«, konstatierte sie; dann vergrub sie die Finger in seinem Haar und zog ihn an sich.
Von neuem bezauberte ihn der Anblick ihres Körpers. Ihre Haut schien zu glühen. Seine Hand überspannte ihren Bauch von den Brüsten bis zur Hüfte. Er erklärte ihr, daß er sie liebte, und das war kein Geständnis, sondern ein Gebet.
Mia saß rittlings auf ihm, hatte den Kopf zurückgeworfen und legte mit ihrem ungekämmten Haar spiralförmige Schatten auf seine Brust, als plötzlich die Hintertür aufging, die direkt in die Küche führte. Irgendwo im Hinterkopf hatte sie etwas wahrgenommen, neben Kafkas Pfoten, die oben über den Teppichboden tappten und der um ein Grad abfallenden Temperatur. Aber sie schenkte dieser Wahrnehmung ebensowenig Aufmerksamkeit wie allem anderen, wenn Cam ihre übrigen Sinne ausfüllte.
Ellen MacDonald stand einen Schritt neben ihnen, einen Ersatzschlüssel in der einen Hand, einen Teller in der anderen. Ihre Wangen waren bleich wie der Baiserkuchen, den sie Cam gebacken hatte. Als Trostpflaster, weil Allie nicht da war!
»Da brennt was an«, sagte sie, dann ließ sie den Kuchen auf die Theke fallen und verschwand ohne ein weiteres Wort.
Weil er ganz sicher gehen wollte, daß niemand sie belauschte, hatte Graham Jamie gebeten, sich mit ihm am Fuß jenes Passes zu den Berkshires zu treffen, der Wheelock zu einem derartigen Postkartenidyll machte. Es gab dort einen Weg, der irgendwann in den Mohawk Trail mündete; doch gute zehn Meilen davon entfernt war er nur eine Schotterstrecke, die von ehrgeizigen Teenagern mit neonfarbenen Mountainbikes befahren wurde. Nachdem in der vergangenen Woche ein paar Zentimeter Schnee gefallen waren, wußte Graham, daß sie dort ungestört wären und für seinen Klienten die Zeit gekommen war, ihm endlich die Wahrheit zu sagen.
Jamie war sich im klaren, daß er mit Graham früher oder später sehr viel ausführlicher darüber sprechen mußte als bei seiner freiwilligen Aussage. Die beiden Männer spazierten schweigend eine Weile nebeneinander her, die Köpfe gegen den Wind gesenkt, die Hände tief in den Parkas vergraben.
»Wann hat sie Sie darum gebeten?« fragte Graham.
»Zum ersten Mal? Im Januar. Wir waren in Quebec – nach der Chemotherapie, aber vor den Augenbestrahlungen. Ich habe es als Galgenhumor abgetan.«
»Und dann wieder?«
Jamie bückte sich, um einen Zweig aus dem Schnee zu ziehen. Er fuhr damit die hüpfende Spur eines Hasen nach. »Nach ihrem Arzttermin in jener Woche im September. Das war am Freitag – sie ließ sich immer den letzten Termin am Abend geben, weil sie lieber den ganzen Tag arbeiten wollte, ehe sie die schlechten Nachrichten hörte. Deshalb kam sie meist gegen sechs heim. – An dem Abend ist sie erst nach neun Uhr heimgekommen.« Jamie lächelte schwach, in seiner Erinnerung gefangen. »Natürlich hatte ich bis dahin alle Krankenhäuser in der Nähe abtelefoniert und mich bei der Polizei nach Autounfällen und Fällen von Fahrerflucht erkundigt. Sie hatte einen Karton dabei – einen großen Karton, einen Wodka-Karton –, aus dem Schnapsladen, wenn ich mich recht erinnere. Sie sagte kein
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