In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)
– für Behinderte«, erklärte Jamie und reichte ihr den Datenhelm. »Ein Querschnittsgelähmter möchte Tennis spielen.«
Das Lächeln, das unterhalb des High-Tech-Helmes Maggies Lippen umspielte, verriet ihm, daß ihr die virtuellen Bilder des Tennis-Centers in Flushing Meadow ausgesprochen gut gefielen – die abgegrenzten Plätze, die schwitzende Menge, das rauchige Blau des Himmels. Er verfolgte auf einem Flachbildschirm, wie Maggie mit den Augen zuckte und am Rande ihres Blickfeldes einen Tennisschläger erscheinen ließ, der in einer Vorhand schwang. »Er möchte, daß sich auch seine Freunde in den virtuellen Raum einklinken können. Und er will obendrein einen virtuellen ›intelligenten Gegner‹, falls mal keiner da ist, gegen den er spielen kann.«
»Wieso hängst du denn fest?«
Jamie zog die Achseln hoch. »Weil ich ihn den Schweiß auf dem Griff seines Schlägers nicht spüren lassen kann. Weil ich ihm nicht das Gefühl vermitteln kann, daß seine Beine müde sind vom Laufen.«
»Das ist kaum deine Schuld«, entgegnete Maggie. »Könntest du das nicht anderswie kompensieren? Du weißt schon, vielleicht durch einen Duft – den Geruch von Sonnenöl, der aus den Rängen herweht, oder diesen Gummigeruch, wenn man eine Dose mit Tennisbällen öffnet?«
»Riechen kann er ja«, gab Jamie zu bedenken. »Er will richtig laufen.«
Maggie ließ sich auf seinen Schoß sinken. Sie setzte den Datenhelm ab, legte die Hand auf den Bildschirm und schüttelte den Kopf. »Es ist immer wieder beeindruckend«, sagte sie, »wieviel besser alles unter dem Helm aussieht.«
»Das ist der Sinn der Sache.« Jamie lächelte.
»Stell dir mal vor«, meinte Maggie, »so aktiv zu sein und plötzlich alles aufgeben zu müssen. Wenn ich jemals einen Unfall habe und querschnittsgelähmt werde, dann darfst du mich erschießen.«
Automatisch umschlangen Jamies Arme sie fester. »Darüber solltest du nicht mal Witze machen«, mahnte er. »Außerdem ist das nicht dein Ernst.«
Maggie zog die Brauen hoch. »Würdest du etwa als Gemüse dahinvegetieren wollen?«
»Du bist kein Gemüse«, widersprach Jamie. »Du hast immer noch deinen Geist.«
»Und darin bist du eingesperrt«, erläuterte Maggie. »Nein danke!«
»Du hast immer noch alle fünf Sinne«, wandte Jamie ein. »Du kannst immer noch sehen, du kannst mit der Haut auf deinem Gesicht Dinge spüren, du kannst riechen, schmecken und hören!«
»Der Geschmack ist ein dämlicher Sinn«, murmelte Maggie gedankenverloren. »Niemand würde ihn vermissen.«
»Wenn du ihn nicht mehr hättest, würdest du ihn sehr wohl vermissen«, meinte Jamie.
»Ich wäre lieber blind, taub und blöd als querschnittsgelähmt«, verkündete Maggie.
Selbst mit dem Surren der Computer hinten im Labor war der Raum für Jamies Geschmack zu still. Ihm wollte der Gedanke nicht aus dem Kopf, daß sie ihr Schicksal herausforderten, wenn sie so weiterredeten. »Hoffentlich wirst du nie vor diese Wahl gestellt«, murmelte Jamie.
Sie legte ihre Hand an seine Wange. »Du würdest es verkraften, wenn du mich hier nicht mehr spüren könntest«, sagte sie, während ihre Finger über seine Stirn und seine Lippen wanderten. »Und hier und hier.« Dann ließ sie die Hand über seine Brust wandern bis zwischen seine Schenkel und umfaßte ihn dort. »Aber zu vergessen, wie sich das hier anfühlt?«
In ihrer Hand wurde er hart. Er konnte sich nicht vorstellen, daß er jemals Probleme haben würde, sich die Empfindungen ins Gedächtnis zu rufen, die Maggie durch ihre Berührungen bei ihm auslöste. Vielleicht war das auch der Schlüssel zu seinem Programm – eine Erinnerung an etwas Vergangenes auszulösen, so daß der Geist die Parameter dazudachte, die der Körper physisch nicht mehr empfand. Er würde die Geräusche und Gerüche eines Tennisspiels einsetzen und einen kleinen Ventilator in den Helm einbauen, der bei schnellen Bewegungen das Gefühl eines Luftzugs vermitteln sollte. Wenn der Spieler mit genügend Reizen bombardiert wurde, um eine Erinnerung ans Laufen oder ans Aufschlagen auszulösen, wieso sollte dann der Kopf nicht denken können, daß es wirklich geschah?
Maggie drückte ihn liebevoll.
Jamie schluckte. Das Problem war, daß derselbe Geist, der alle Zweifel beiseite schieben konnte, auch die Fähigkeit zum Zweifeln besaß. Ein Mann, der zweiundvierzig Jahre auf eigenen Beinen gestanden und dann einen schweren Unfall überlebt hatte, würde sich von billigen Tricks nicht täuschen lassen.
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