In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)
ihr unter den Sternen, aß drei Wochen lang Ravioli, weil er sich nichts anderes leisten konnte und wäre nicht mehr Cameron, ihr blauer Prinz. Und wie lange würde es dauern, bis er sie dafür verfluchen würde, daß sie ihm die Koordinaten geraubt hatte, durch die er sich seit jeher selbst definierte?
Sie begriff, daß sie sich die ganze Zeit über nur gewünscht hatte, die Uhr zurückstellen zu können: Cam kennengelernt zu haben, ehe Allie in sein Leben getreten war und den Platz eingenommen hatte, den sie an seiner Seite so mühelos ausfüllte. Und in einem jener blitzartigen Momente der Einsicht begriff Mia, daß sie die ganze Zeit über nicht unbedingt das gewollt hatte, was Cam ihr bieten konnte, sondern das, was Allie MacDonald besaß.
Cam drehte Mia zu sich und wischte mit dem Finger eine Träne von ihrer Wange. »Du willst auch nicht weg«, stellte er fest.
Mia lächelte halbherzig. »Das ist es wohl«, stimmte sie zu.
Doch sie wußte, daß es mehr war. Wenn sie Cam wirklich liebte, und das tat sie, würde sie ihm die Schmerzen ersparen, die es bereitete, kein Heim mehr zu haben.
Halbblind starrte sie aus dem Fenster auf die reine Schneefläche. Cam saß auf der Bettkante und zog seine Boxershorts an. Sie beobachtete, wie sich sein Trizeps an- und entspannte. In ein, zwei Augenblicken würde er fragen, was sie heute machen sollten, wenn sie nicht skilaufen wollte; und ihr lag auf der Zunge: Hierbleiben. Mit dir schlafen. Dich nicht vergessen!
Er kam zu ihr herüber und zog sie in seine Arme, weil er ihr Schweigen falsch interpretierte. Mia gestattete sich den Luxus, sich an jemanden zu lehnen, dem sie ihr Leben leichten Herzens anvertraut hätte. Sie küßte seinen Hals, ließ ihre Zunge vorschnellen und hinterließ ein kleines, nasses Zeichen, das bereits ging, als sie ihre Zunge wieder löste. Dann richtete sie sich unmerklich auf, gerade so weit, daß ihre Muskeln und das Mark in ihren Knochen deutlich den ersten Schritt von ihm weg bemerkten.
16
Am Montagmorgen um 8 Uhr 05 holte Mia Townsend ihre Habe heraus, die sie säuberlich in der Kommode des Wheelock Inn verstaut hatte, und rollte alles zu Würsten zusammen, die beste Packmethode, wie sie aus langer Erfahrung wußte. Sie stopfte ihre Besitztümer in den Rucksack und schnappte sich mit der freien Hand die Katze. Dann setzte sie Kafka auf ihren Bauch und legte sich aufs Bett, das noch vom vergangenen Nachmittag nach ihr und Cam roch. Sie war vor ihm in Wheelock eingetroffen, und er kam erst zu ihr ins Hotel, statt gleich heimzufahren. Cam hatte sie so zärtlich ausgezogen, daß sie glaubte, er ahne etwas von ihrem Entschluß. Doch dann begriff sie, daß es nur seine Art war, etwas zu kennzeichnen, das für ihn kein Ende, sondern einen Anfang bedeuten sollte.
Ihr Körper konnte nicht so leicht loslassen und hatte ihm ein Wiegenlied gesungen, harmonisch begleitet von den Bewegungen ihrer Haut an seiner, bis er tief und fest neben ihr einschlief. Irgendwann hatte Mia die Augen geschlossen und sich auf die Geräusche konzentriert, die durch die Wände und Fenster drangen, Familiengeräusche, Freizeitgeräusche, das Summen eines langsam sich neigenden Wochenendes.
Plötzlich grub sie ihr Gesicht in das Kissen, auf dem Cam gelegen hatte. Sie glaubte nicht, daß sie jemals seinen Duft vergessen würde; dennoch hatte sie ihm, während er auf der Toilette war, für alle Fälle eines der Sweatshirts stibitzt, die in seiner New-Hampshire-Tasche waren. Das würde sie diesmal mitnehmen, ihr Souvenir aus Wheelock!
Kafka miaute und kratzte über ihre Rippen. Gedankenverloren streichelte sie ihm über den Kopf und versuchte, sich Cameron MacDonalds Gesicht in all seinen Zügen einzuprägen.
Ein letztes Mal ging Mia die Schubladen und das Bad durch, um ganz sicher nichts liegenzulassen. Mit sanfter Hand fuhren ihre Finger den knorrigen Stamm ihres Bonsai entlang, der sie überallhin begleitet hatte. Dann stellte sie ihn mitten auf das Bett, wo Cam ihn keinesfalls übersehen konnte.
Nun schloß sie die Tür des Zimmers hinter sich, das für kurze Zeit ihres gewesen war. Sie ging nach unten, zahlte ihre Rechnung, gab den Schlüssel ab. Dann trat sie nach draußen.
Es war unverhältnismäßig warm für Januar und noch früh am Morgen. An manchen Stellen schmolz der Schnee bereits bis auf die blanke Erde und brachte das schwache, farblose, vergewaltigt wirkende Gras zum Vorschein.
Mia atmete tief durch und ging mit hoch erhobenem Kopf zu ihrem
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