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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Und der Himmel.
    Abgesehen davon wäre die Strafe wohl fast die gleiche: mit dem Urteil ›Lebenslänglich‹ wurde die Welt auf ein Gefängnis beschränkt, oder die Welt erwies sich als Gefängnis, weil man dazu verurteilt war, weiterzuleben.
    Am Samstag fuhr Allie mit Jamie bis nach Pittsfield, um ihm einen Anzug für die Verhandlung zu kaufen. Er hatte mehrere zu Hause, doch er weigerte sich, sie zu holen. »Sie hat sie ausgesucht«, erklärte er Allie, die genau verstand, was er meinte.
    Der Herrenbekleidungsladen hieß Lou's, und Lou kam höchstpersönlich, um sie zu beraten. »Sie sind sehr groß«, sagte er und blickte zu Jamie auf. »Größe vierundvierzig oder sechsundvierzig, schmal?«
    Allie trat vor den Mann hin. »Wir suchen etwas Gedecktes«, sagte sie. »Geschmackvoll, aber nicht aufdringlich.«
    »Geschmackvoll«, echote Lou und probierte das Wort dabei aus, als hätte er es noch nie richtig gehört. »Geschmackvoll.«
    Allie drängte sich an dem Ladenbesitzer vorbei zu einem Ständer mit dem Schild 44, schmal. »Lieber Blau oder Grau, Jamie?«
    Jamie folgte ihr. »Ich weiß nicht. Wahrscheinlich Blau.« Er fuhr mit der Hand über die Sakkos, daß die Bügel knackten und klapperten. »Kauft Cam seine Anzüge auch hier?«
    Allie lachte. »Cam kauft seine Klamotten aus einem Katalog für Polizeiausstattung«, berichtete sie. »Er besitzt genau ein Sportsakko. Seine Mutter hat es ihm gekauft, als er zweiundzwanzig war.«
    Energisch zog sie ein paar Anzüge vom Ständer. »Du bist groß genug, um Zweireiher zu tragen«, sann sie nach, »aber die Geschworenen sollen dich schließlich nicht für einen Fatzke halten.«
    »Soll ich die ganze Verhandlung über denselben Anzug tragen?« Er steckte den Finger durch ein Knopfloch.
    »Graham meint, du brauchst nicht jeden Tag im Anzug zu kommen. Nur während des Eröffnungs- und Schlußplädoyers, wenn du den tiefsten Eindruck auf die Geschworenen machst. Er empfiehlt Pullover mit V-Ausschnitt und Krawatten mit Wall-Street-Tupfen.«
    »Wall-Street-Tupfen?«
    Allie nickte. »Du weißt schon, gelb oder rot mit diesen Pünktchen in ordentlichen kleinen Reihen – wofür man keinerlei Phantasie braucht.« Sie sah auf. »Komm hierher«, dirigierte sie ihn.
    Sie hielt einen Anzug vor Jamies Brust, so hoch sie hinaufreichte. »Ich glaube, der hier gefällt mir am besten. Zieh mal die Hosen an.« Als Jamie wie angewurzelt stehenblieb, mußte sie lachen. »Mach schon«, sagte sie und schob ihn vorwärts. »Ich werde nicht mitkommen.«
    Jamie sah sich nach den Umkleidekabinen um und begriff schließlich, daß sie hinter der Spiegelreihe links von ihm versteckt waren. Er trat in eine Kabine und hängte die drei Anzüge, die Allie ausgesucht hatte, über den Haken an der Wand. Dann zog er seine Sachen aus und schlüpfte in die erste Hose.
    Allie hatte ein Hemd vergessen. Einen Augenblick lang stand er nur da und schaute benommen auf seine nackte Brust. Das Haar lief zu einem Pfeil zusammen und verschwand dann unter dem lockeren Bund des gebügelten Beinkleids. Er sah aus wie ein Kind, das sich die Sachen seines Vaters anzieht.
    Ihm fiel ein, wie Maggie ihn seinerzeit mitgeschleift hatte, als sie sich einen Badeanzug kaufen wollte. Sie meinte, es gebe nichts Schlimmeres für eine Frau alleine, und sie wüßte wirklich zu schätzen, jemanden um sich zu haben, der sie liebte, ganz gleich, wie unförmig ihr Körper auch war. Es war eine recht geräumige Umkleidekabine gewesen, so daß er mit hineingekommen war, während seine Frau einen Badeanzug nach dem anderen probierte. Er fand, daß sie alle gut aussahen, und sagte ihr das auch, doch sie hatte kein Auge für die hübschen Stücke. Statt dessen piekte sie bei jedem Anzug nur in ihren Bauch, zog ihn ein und klatschte sich auf die Schenkel, bis Jamie aufging, daß sie statt der glatten roten, aquamarinblauen und lila Fitzelchen immer nur sich selbst im Spiegel sah.
    Nach ihrer Brustamputation hatte Maggie nicht mehr in den Spiegel schauen wollen. Morgens schlang sie nach dem Duschen noch in der dampfigen Kabine ein Handtuch um ihren Leib, so daß die Narbe verdeckt blieb. Soweit er sich entsinnen konnte, hatte sie sich nach der Operation grundsätzlich in ihrem begehbaren Schrank angezogen.
    Plötzlich brach Jamie der Schweiß aus. Er schlüpfte aus der Hose und rein in seine alten Sachen. Als er die Tür der Umkleidekabine öffnete, wartete Allie bereits auf ihn. Sie hielt zwei Hemden in der Hand.
    Er warf ihr die Anzüge

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