In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)
Wagen, ohne auch nur einmal in die Pfützen zu blicken, die ihr nur ihr eigenes Gesicht zeigen würden.
Am Montagmorgen um 8 Uhr 05 sammelte Allie die schmutzige Wäsche auf, die sie in die Reinigung bringen wollte. Sie ging alle paar Wochen zu Mr. Soong, sonst würde es knapp mit sauberen Uniformen für Cam. Er war schon sehr früh losgefahren – noch eine Konferenz außerhalb, diesmal wegen irgendeiner Einsatztruppe. Und da er am Vorabend erst nach zehn Uhr daheim eintraf, hatte er keine Gelegenheit mehr zum Auspacken gehabt.
In Allies Ohr klingelte noch die Erklärung, das Seminar über Waffensicherheit in New Braintree würde in Zivil abgehalten; doch sie war nicht sicher, ob er nicht irgendwelche anderen Sachen eingepackt hatte, die eine Reinigung vertragen konnten. Er besaß mehrere Pullover, die nicht gewaschen werden durften.
Sie bückte sich, um die Reisetasche zu untersuchen, die vor ihr auf der Seite lag, und zog eine Jeans und feuchte, muffig riechende lange Propylen-Unterwäsche heraus. Eben registrierte sie gedankenverloren, daß das gelbe Sweatshirt fehlte, in dem er losgefahren war, als die Bilder in ihren Schoß purzelten.
Es waren miserable Polaroids, das nahm sie als erstes wahr. Die Bilder hatten einen Schleier, und die Farben wirkten verfälscht; deshalb konnte es beinahe sein, daß sie sich verschaut hatte, als sie Cam und Mia auf einem Teich mit Eisläufern stehen sah.
Sie hatten die für Polaroids typischen roten Augen.
Er hatte den Arm um sie gelegt.
Sie, Allie, war blöde gewesen …
Als zögen die Bilder wie auf einem Karnevalsumzug an ihr vorüber, erinnerte sie sich daran, wie Mia neben Cam in der Küche stand, wie Mias Zahnbürste in ihrem Bad gelegen hatte, wie Mia und Cam sich im Blumenladen unterhielten, während sie hinten arbeitete.
An Mias Unterwäsche in Cams Schublade.
Allie spürte, daß ihr Rückgrat nachgab. Sie blieb seitlich auf dem Boden liegen, preßte die Bilder an sich und fragte sich, warum sie nicht weinte.
Sie hatte immer gedacht, sie würde weinen, wenn es je zu einer solchen Situation kommen sollte. Und bestimmt hatte sie sich diese schon irgendwann ausgemalt – zog nicht jeder, der verheiratet war, das Schlimmstmögliche in Betracht? In Glamour und Cosmo standen solche Geschichten seitenweise. Die Zeitschriften rieten den Frauen, stark zu bleiben und Mumm zu zeigen; doch Allie glaubte, wenn es hart auf hart kam, wenn ihr Mann sie tatsächlich betrog, würde sie sich komplett abschotten und in ihr Schneckenhaus zurückziehen.
Als katapultierte dieser Gedanke sie ins Leben zurück, riß sie mit solcher Wut an der Tasche, daß der Reißverschluß auseinanderging. Sie zerfetzte die Bilder, so weit es die zähen Polaroidfilme zuließen. Zuletzt entdeckte sie die Kondome in Cams Rasieretui und stakste hölzern zur Toilette, wo sie jedes einzelne Päckchen aufriß und die Präservative Stück für Stück hinunterspülte.
Sie weinte immer noch nicht, dachte auch nicht: Womit habe ich das verdient? Statt dessen fragte sie sich: Womit hat er mich verdient?
Hastig zog sie sich an, weil noch so viel zu tun war. Dann setzte sie sich aufs Bett, umschlang die gerade begriffene Information, bis sie sich zu einem kleinen heißen schmerzhaften Knoten verdichtete, hart wie Steinkohle, und begrub sie ebenso tief.
Am Montagmorgen um 8 Uhr 05 lief Jamie MacDonald mit den Wölfen. Jedenfalls redete er sich das ein. Er war barfuß in den schmelzenden Schnee getreten und langsam durch Darby Macs Maisfeld gewandert, bis seine Fußsohlen taub waren. Im Winter bildete das Feld eine Fläche von aus dem Schnee ragenden Stoppeln. Jamie suchte sich einen Weg zwischen den Reihen hindurch, irrte hierhin und dorthin, krabbelte auf Händen und Knien weiter, versank bis zu den Ellbogen im Schnee.
Hoffentlich würde er eine Lungenentzündung bekommen.
Er hetzte immer weiter, über das Land dahin, bis seine Bronchien brannten und seine Augen vor Anstrengung tränten. Dann ging Jamie in die Hocke, warf den Kopf zurück und heulte die Sonne an. Er schrie, bis seine Stimme versagte, bis nichts mehr in ihm war.
Schließlich kehrte er, wieder ein Mensch, zu Angus' Häuschen zurück. In dem Drahtzwinger nebenan befanden sich zwei Straßenköter und ein reinrassiger Spaniel. Sie hüpften und kläfften, als er näher kam – preßten ihre kühlen, nassen Schnauzen in seine warme Handmulde.
Ohne zu zögern, öffnete Jamie den Verschlag. Er beobachtete, wie die Hunde über die Straße
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