In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)
schüttelte den Kopf. »Sie würde das Eröffnungsplädoyer auf keinen Fall verpassen wollen«, meinte er.
»Ein platter Reifen«, verkündete Angus. »Was anneres kann ich mir nich vorstellen.«
Graham nickte und blickte fest auf die Tür, durch die Jamie in ein paar Minuten hereinkommen würde. »Hoffentlich erscheint sie rechtzeitig«, murmelte er. »Es wird ihn umbringen, wenn sie nicht dabei ist.«
Graham lehnte sich an sein Pult und brachte dabei unabsichtlich seine Unterlagen durcheinander. Er fragte sich, was Jamie, der sich für eine Minute der Ruhe in eine Toilettenkabine zurückgezogen hatte, wohl für Gedanken wälzen mochte. Es beschäftigte ihn, wie er sich bis zum Abend dieses ersten von vielen Verhandlungstagen halten würde.
Der Angeklagte war die unwichtigste Person im Gerichtssaal. Er hatte gar nichts mehr mit dem Fall zu tun. Er würde nicht seine Unschuld beteuern. Sein einziger Zweck war es, den Geschworenen als visuelles Hilfsmittel zu dienen, während sie die Aussagen der übrigen Zeugen anhörten.
Graham wußte außerdem, daß dieser Fall anders sein würde als die Zivilklagen, die er bisher durchgefochten hatte. Die Anklage hatte ihre Beweise. Die Verteidigung würde sie nicht abstreiten oder Gegenbeweise vorlegen. Im Gegenteil, die meisten von Grahams Zeugen würden mit ihren Aussagen die Behauptungen der Anklage untermauern. Doch er würde versuchen, die Tatsachen anhand der inneren Einstellung der Zeugen und ihrer Eindrücke von Jamie anders zu gewichten. Im wesentlichen bestand Jamies Rolle darin, den Geschworenen zu erklären: Ja, es gibt eine Leiche. Aber Sie müssen sie in einem anderen Zusammenhang sehen.
Nicht daß Graham geglaubt hätte, es ließe sich ausmachen, was im Kopf eines Geschworenen vorging.
Bleich und angespannt kehrte Jamie in den Gerichtssaal zurück und rutschte fast zur gleichen Zeit auf den Platz neben Grahams, als die Geschworenen eintraten und der Gerichtsdiener alle bat, sich für den Ehrenwerten Richter Juno Roarke zu erheben.
Sowie Roarke die Verhandlung für eröffnet erklärt hatte, war Audra Campbell aufgesprungen, um ihr erstes Plädoyer vorzutragen. »Meine Damen und Herren Geschworenen«, begann sie, »am 19. September 1995 wurde Margaret MacDonald von ihrem eigenen Ehemann ermordet. Er fuhr mit ihr in eine nahegelegene Stadt, mietete sich in einem Motel ein, drückte ihr ein Kissen aufs Gesicht und schnitt ihr die Luftzufuhr ab, so daß sie an Sauerstoffmangel sterben mußte. Die Anklage wird beweisen, daß der Angeklagte sich selbst der örtlichen Polizei gestellt und die Tat freiwillig gestanden hat.«
Die Staatsanwältin trug ein schwarzes Wollkostüm, das über ihren Schultern abstand wie das Trikot eines Footballspielers. Sie trat hinter ihrem Pult vor und baute sich mit einem wohlwollenden Lächeln vor der Geschworenenbank auf. »Ich möchte Sie an den Eid erinnern, mit dem Sie geschworen haben, das Gesetz zu achten und dem Mörder des Opfers Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.« Dann schoben sich ihre Brauen auf der hohen Stirn zusammen. »Niemand, mich selbst eingeschlossen, wird bestreiten, daß die Umstände dieses Falles herzzerreißend und tragisch sind. Daß es für keinen der Beteiligten leicht gewesen war. Trotzdem«, ihre Stimme wurde wieder kräftiger, »bleibt die Tatsache, daß der Angeklagte den Mord wohlüberlegt, freiwillig und vorsätzlich begangen hat – wie er selbst zu gab. Wenn Sie als Geschworene nun die Fakten hören werden, vergessen Sie bitte nicht, daß es in diesem Fall um einen Gesetzesbruch geht. Nicht um Mitgefühl oder Mitleid. Hier gilt nur die reine Rechtsprechung, und unsere Gesetze fordern zwingend eine Verurteilung.«
Sie setzte sich.
Jamie beugte sich zu Graham hinüber, der schon halb aufgestanden war. »Wo ist Allie?« flüsterte er.
Graham schüttelte den Kopf und warf einen Blick auf Ellen und Angus sowie auf den freien Platz zwischen ihnen. Dann wandte er sich der Jury zu. Einen Moment lang sagte er überhaupt nichts. Er ging vor der Geschworenenbank auf und ab, als wäre er über irgend etwas verbittert und immer noch damit beschäftigt, seinen Protest richtig zu formulieren.
»Meine Damen und Herren«, sagte er, »ich werde Ihnen das gleiche erzählen wie die Anklage eben. Ja, Maggie MacDonald wurde am 19. September 1995 getötet. Ja, Jamie MacDonald, ihr liebender Ehemann, hat die Tat gestanden. Anders als die Anklage werde ich allerdings diese Fakten in das dazugehörige emotionale
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