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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Gefüge einordnen. An Maggies Todestag litt Jamie unter unbeschreiblichem Streß und großer Trauer, die von dem monatelangen Kampf gegen die unheilbare Krankheit seiner Frau herrührten. Die neuesten Auskünfte über ihren Zustand und ihre Prognose waren so schlecht wie nie zuvor.« Graham hielt inne und faßte die Geschworene mit dem miserabel gefärbten Karottenhaar ins Auge. »Sie werden in den Zeugenaussagen hören, wie sehr diese lange Trauer und Depression Jamie zu schaffen machte, so sehr nämlich, daß seine Fähigkeit, Recht und Unrecht voneinander zu unterscheiden, in Mitleidenschaft gezogen wurde. An jenem Morgen, an dem es geschah, hatte er keine Kontrolle mehr über sich selbst.«
    Die Frau mit dem Leuchtschopf blickte in ihren Schoß. Das kaufte sie ihm nicht ab!
    Graham trat einen Schritt zurück und setzte noch einmal nach. »An einem Tag vereinbarte Jamie Termine mit Maggies Arzt, um mit ihm über eine neue Behandlungsform zu sprechen, von der er Vielversprechendes gehört hatte. Am nächsten Tag überwältigte ihn das Gefühl, daß es völlig absurd war, seiner Frau noch mehr Schmerzen zuzumuten, ohne jegliche Erfolgsaussicht.«
    Die Geschworene mit dem Karottenkopf sah auf.
    »Das hier ist kein gewöhnlicher Mordprozeß«, fuhr Graham fort. »Die meisten Kriminellen werden von ihrer Gier getrieben. Jamies Motiv war Trauer! Die meisten Kriminellen handeln aus Haß. Jamies Tat war ein Akt der Liebe.« Er kehrte zu seinem Pult zurück, so daß die Geschworenen Jamie ins Blickfeld bekamen. »Sie können diese Tat nicht beurteilen, ohne den Kontext in Betracht zu ziehen, in dem sie ausgeführt wurde. Sie können nicht nur Vernunft und Konsequenz anführen, wenn Sie sich nicht auch Gedanken über Gefühle und Moral machen. Kein Mensch lebt oder handelt in einem Vakuum.«
    Er warf Audra einen Blick zu. »Die Anklage möchte Sie glauben machen, daß dies ein glasklarer Fall ist, eine Frage von Schwarz oder Weiß. Nun, sehen Sie sich um, meine Damen und Herren. In unserer Welt gibt es Farben ohne Zahl. Maggie MacDonalds Tod geschah nicht zwischen den Seiten des Gesetzbuches, sondern in unserer Welt. Und hier findet auch Jamies Verhandlung statt.« Er holte tief Luft. »Die Beweise werden Ihnen zeigen, daß in unserer Welt die Dinge nicht nur schwarz oder weiß erscheinen. Sondern daß es zumindest unendlich viele Grauschattierungen gibt …«
    Cam nahm sich einen Tag frei. Den Vormittag brachte er damit zu, bei Leuten zu klingeln, die er kaum kannte, und sie zu fragen, was es kosten würde, eine Uniform, eine Angelrute, ein gesticktes MacDonald-Wappen zurückzukaufen. Er ertrug die Anzüglichkeiten der Männer aus der Generation seines Vaters, daß er die nächste Zeit wohl in der Hundehütte schlafen müsse, und das breite Grinsen seiner Altersgenossen. Offenbar hatte Allie lediglich verlauten lassen, daß es einen Streit gegeben habe – sie war nicht ins Detail gegangen. Dafür mußte er ihr wohl dankbar sein. Doch es brachte ihn trotzdem auf die Palme, daß die Leute seine Lage als eine Art kindischen Streich betrachteten, den ihm seine Frau gespielt hatte.
    Er fuhr zu Glory in the Flower, weil er dachte, daß Allie in ihrem Laden übernachtet hatte; doch an der Tür hing ein Schild, daß das Geschäft während des gesamten MacDonald-Prozesses geschlossen bliebe. Einen Augenblick lang geriet er in Panik bei dem Gedanken, daß ihn ein gieriger Scheidungsanwalt um Haus, Besitz, Geld bringen wollte. Dann ging ihm auf, daß damit natürlich Jamies Fall gemeint war.
    Die Staatsanwältin hatte Cam erklärt, daß er wahrscheinlich am folgenden Tag in den Zeugenstand treten müsse – natürlich ein Ding der Unmöglichkeit, wenn er vor dem Abend nicht eine gottverdammte Uniform auftrieb. Eine wesentliche Portion seines Ansehens als Experte der Anklage beruhte darauf, daß er in voller Montur erschien.
    Er fragte sich, ob Allie die Verhandlung wohl verfolgte oder sie angesichts des gestrigen Tages verpaßt hatte.
    Es gelang ihm, einen Teil seiner Werkzeuge und Angelsachen zurückzukaufen, und er zog im wahrsten Sinne des Wortes einem Vierjährigen seine Uniform vom Leib, der in der Verkleidungsecke des Kindergartens Polizist spielte. Mittags aß er in seinem Auto und ging dann in sein Büro, wo weitere persönliche Dinge über seinen Schreibtisch verstreut lagen: sein Sportsakko, eine Gala-Uniform, ein Paar Sorrel-Stiefel, Skier. Hannah blieb in der Tür stehen. »Ich habe ein bißchen rumtelefoniert und ein

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