In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)
neue Frau, die plötzlich einen eigenen, für ihn unberechenbaren Willen hatte, konnte einfach alles sagen oder tun.
Er wollte seine alte Allie wieder haben. Nicht aus Machtgelüsten, sondern weil er sich verletzt fühlte und müde war und vor allem das einzig Beständige in seinem Leben brauchte – ihren bedingungslosen Trost.
Weil ihm schwindlig von der Wahrheit wurde, schloß er die Augen und fragte sich, wie es so schnell hatte geschehen können, daß er nicht mehr alles, was er sich wünschte, in Händen hielt, sondern absolut nichts mehr besaß. Er fragte sich, wie er sich derart von etwas Glänzendem, Neuem, Flüchtigem hatte blenden lassen können, daß er die Stärke von etwas Stabilem, Starkem, das ihm gehörte, nicht mindestens ebenso hoch geschätzt hatte.
»Wahrscheinlich willst du die …« Er gab sich Mühe, wirklich Mühe, doch das Wort wollte einfach nicht über seine Lippen.
»Scheidung«, sagte Allie tonlos.
Cam nickte.
»Nein«, antwortete sie leise, und sein Blick flog zu ihr auf. Zu seiner Überraschung merkte er, daß er sich nicht wünschte, sie wäre Mia. Er sah seine Frau an und wünschte sich plötzlich, all das wäre nie passiert.
In Allies Augen traten Tränen, die sie nicht vergießen würde, um keinen Preis. Als sie sprach, schob sie trotzig das Kinn vor. »Du hast mich verletzt«, warf sie ihm vor, »aber du bist derjenige, der einen Fehler gemacht hat. Es ist nicht so, als hätte ich aufgehört, dich zu lieben, sobald ich alles herausgefunden hatte. Ich traue dir nur nicht mehr.«
Sie ging die Treppe hoch und ließ Cam auf der Couch zurück, wo er die Worte, die sie ihm zugeworfen hatte, wie frisch geschlüpfte, flatternde Vögel im Schoß hielt. Er blickte die dunkle Treppe hoch, doch seine Zukunft vermochte er nicht zu erkennen.
18
Als Cam am folgenden Morgen in den Zeugenstand trat, blickte er nur Allie an. Sie saß fast genau hinter Jamie, so daß er, wenn er sie anschaute, auch seinen Cousin im Blick hatte.
Für jemanden, der wegen Mordes vor Gericht stand, sah Jamie gut aus. Er trug einen olivfarbenen Anzug von elegantem Schnitt und eine dunkelrote Krawatte, die ruhig und konservativ wirkte. Jemandem, der nicht so genau zu beobachten gelernt hatte wie Cam, wären die Schweißperlen in den Nackenhaaren oder die Röte vielleicht entgangen, die jedesmal in seine Ohren stieg, wenn Audra Campbell eine Frage stellte.
Cam war vereidigt worden und hatte das Verhaftungsprotokoll sowie das freiwillige Geständnis als Beweismittel eingebracht. Er lächelte Audra zu, als sie vor ihn trat; schon früher hatte er mit ihr zu tun gehabt. Er mochte sie nicht besonders, war aber der Abteilung des Staatsanwalts verpflichtet. Die Polizei – vor allem der Chief – waren Hauptzeugen der Anklage. Ein Polizist flößte schon von Amts wegen Respekt ein. Die Geschworenen verließen sich instinktiv darauf, daß die Polizisten Menschen wie sie selbst, ihr Eigentum, ihr Leben beschützte. Was immer Cam auch aussagte, würden die meisten Geschworenen als verbindlich hinnehmen.
Er nannte seinen Namen und seinen Beruf. »Wie viele Jahre sind Sie bei der Polizei?« fragte Audra.
»Acht«, antwortete Cam. »Plus drei Jahre als Teilzeitbeamter, bevor ich zum Chief ernannt wurde.«
»Und wie viele Verhaftungen nehmen Sie pro Woche vor?«
Cam zog die Stirn in Falten. »Ich persönlich? Oder unsere Dienststelle?«
»Sie, Chief MacDonald.«
Cam wurde es ungemütlich auf seinem Stuhl. »Sechs oder sieben. Zehn, wenn in einer Woche viel los ist. Alles in allem werden jeden Tag im Durchschnitt drei Menschen von einem unserer Beamten in Gewahrsam genommen, weil sie irgendwelche kriminellen Taten begangen haben.«
»Waren Sie am neunzehnten September im Dienst?«
Cam nickte. »Jawohl. Eigentlich hatte ich gerade Mittagspause, als der Angeklagte vor dem Revier anhielt und mich sprechen wollte. Einer meiner Sergeants hat mich geholt.«
Graham hörte aufmerksam zu und machte sich auf einem gelben Block Notizen, die er selbst kaum entziffern konnte. Cam sprach deutlich und teilnahmslos; ohne jede entlastende Emotion legte er die Fakten eines grauenhaften Falles dar.
»Der Angeklagte fuhr in einem roten Ford vor«, berichtete er. »Das Opfer saß auf dem Beifahrersitz, obwohl ich bei meinem Eintreffen nicht gleich erkannte, daß die Frau nicht mehr lebte. Er fragte mich, ob ich der Chief sei, und als ich das bestätigte, nannte er mir seinen Namen und erklärte mir, daß er sie getötet
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