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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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weit auf und schielte durch die Öffnung.
    Eilig versicherte sie sich, daß sie immer noch wütend auf ihn war; daß sie ihm nicht zuschauen wollte und daß er sie nicht das geringste anging. Durch das dampfige Glas der Kabine sah sie seine langen Beine, die über die Schulter gereckten Arme, mit denen er sich den Rücken einseifte, die unscharfen Umrisse seines Hinterns.
    Erst als sie wieder hinunter in die Küche gerannt war und darauf wartete, daß das Feuer aus ihren Wangen wich und das Zittern aufhörte, begriff sie, daß ihre Erregung nichts mit Voyeurismus zu tun hatte. Sondern mit der Tatsache, daß sie allen festen Absichten zum Trotz sich nach etwas sehnte, das sie lieber nicht bekommen wollte.
    Dascomb Wharton paßte nur knapp in den Zeugenstand. Graham sah, daß mehrere Geschworene hinter vorgehaltener Hand die Mundwinkel verzogen, als der Gerichtsdiener dem Arzt half, sich auf dem Zeugenstuhl sowie einem Hilfsmöbel niederzulassen, das man extra für ihn in den Zeugenstand gestellt hatte. Toll, dachte Graham. Unser Sachverständiger ist eine Lachnummer.
    Doch Wharton antwortete deutlich, präzise und sehr professionell. Als er seine berufliche Laufbahn beschrieb, die einen Abschluß an der Harvard Medical School und eine Tätigkeit am Massachusetts General Hospital beinhaltete, wirkte sogar Richter Roarke beeindruckt.
    »Wie lange praktizieren Sie schon in Cummington, Doktor?« fragte Graham.
    »Einundzwanzig Jahre«, lautete die Auskunft.
    »Und mit was für Fällen haben Sie zu tun?«
    »Als Allgemeinmediziner entbinde ich Babys; ich kümmere mich um diese Babys, wenn sie Keuchhusten haben; ich helfe ihnen durch die Windpocken, nehme Untersuchungen für die Schule oder die Army vor, und manchen von ihnen helfe ich, ihre eigenen Kinder zu gebären. Außerdem behandle ich Notfälle aller Art: Blinddärme, Gallensteine, verschiedene Arten von Krebs.«
    »Wann kam Maggie das erste Mal zu Ihnen?«
    Wharton bewegte sich in seinem Stuhl; der Boden des Zeugenstands knarzte. »Maggie wurde meine Patientin, als sie nach Cummington zog, also 1984. Ich war mit ihrer medizinischen Vorgeschichte vertraut.«
    Graham nickte. »Können Sie uns erzählen, wie Sie ihren Krebs diagnostiziert haben?«
    Er hörte gar nicht zu, als Wharton erzählte, wie Maggie seine Praxis aufsuchte, nachdem sie sich beim Eislaufen den Knöchel gebrochen hatte; daß die Röntgenaufnahmen nicht nur darauf hinwiesen, wie der Knochen zu reponieren sei, sondern auch auf Läsionen, die einen Tumor in ihrem Körper vermuten ließen. Statt dessen beobachtete Graham die Geschworenen. Zum ersten Mal während der gesamten Verhandlung machten sich einige davon Notizen. Die meisten hockten gespannt auf der Stuhlkante.
    Wharton erläuterte in Laiensprache, welcher Typ von Brustkrebs Maggie befallen hatte; die Entscheidung, eine radikale Brustamputation vorzunehmen, bei der auch die Lymphknoten entfernt wurden; was es bedeutete, daß man die Metastasen – die Knochenläsionen – vor dem ursprünglichen Tumor entdeckt hatte. Er schilderte ihre Odyssee durch Chemotherapien und Bestrahlungen, wie auch die damit verbundenen Nebenwirkungen.
    Jamie sah den Arzt nicht an. Er hielt den Blick auf seinen Schoß gerichtet.
    »Können Sie uns sagen, wie Maggies Zukunft angesichts ihrer verschiedenen Krebsformen aussah?«
    Wharton seufzte. »Sie würde sterben«, sagte er. »Die Frage war nicht mehr ob , sondern nur noch wann. «
    »Konnte man Ihrer Erfahrung nach auf eine Besserung ihres Zustands hoffen?«
    »Das habe ich noch nie erlebt.«
    Graham stellte sich neben Jamie. »Haben Sie das Jamie und Maggie mitgeteilt?«
    ›Ja, natürlich.«
    »Und wie haben die beiden reagiert?«
    »Maggie nahm es stoisch hin. Ich glaube, sie ahnte längst, wie es um sie stand. Jamie war da anders. Während ich redete, hielt er die ganze Zeit über ihre Hand, und als ich geendet hatte, erklärte er mir, ich hätte den Verstand verloren. Er deutete an, daß ich ihre Ergebnisse vertauscht hätte, daß sie eine zweite Meinung einholen würden.«
    »Haben die beiden das Ihres Wissens nach getan?«
    »Ja«, sagte Wharton. »Der Befund des Kollegen deckte sich mit meinem. Er schickte mir seine Diagnose als Anlage zu Maggies Akte.«
    »Haben Sie jemals allein mit Jamie gesprochen?«
    Der Arzt nickte. »Er suchte mich mehrere Male auf, um mir neue Heilmethoden vorzuschlagen, von denen er gehört hatte. Eine hatte etwas mit chinesischem Ginseng zu tun, glaube ich; ein anderes Mal handelte

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