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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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wüßte er nicht mehr, wer er war.
    »Es tut mir so leid«, flüsterte er mit laufender Nase, und jede seiner Tränen versengte Allies Haut aufs neue. »Es tut mir so leid.«
    Darauf hatte Audra Campbell seit Tagen gewartet. Sie sah schon morgens tatendurstig aus. Jamie folgte ihr mit mißtrauischem Blick, als sie durch die Weite des Gerichtssaals auf ihn zu kreuzte.
    »Mr. MacDonald, würden Sie mich jetzt umbringen, wenn ich Sie darum bitten würde?«
    Jamie sah zu Graham hinüber, der kaum merklich nickte, als wollte er ihn daran erinnern, daß er die Frage beantworten mußte, gleichgültig, wie lächerlich sie ihm erschien oder welche Phantasien sie in seinem Kopf hervorrief.
    »Natürlich nicht«, sagte er.
    »Wieso nicht?«
    Er breitete die Hände aus, eine Geste des Zugeständnisses. »Ich kenne Sie nicht.«
    »Aha«, sagte Audra. »Sie bringen also nur Menschen um, die Sie kennen?«
    Jamie blickte sie ernst an. »Nein«, widersprach er. »Mit Maggies Tod waren zwei Leben verbunden. Ich habe es getan, weil ich sie liebte.«
    »Ooh!« Audra dehnte die Silbe wie eine Entdeckung. »Sie bringen also nur Menschen um, die Sie lieben? « Sie blieb vor ihm stehen und sah ihm in die Augen. »Kehren wir zu dem Arztbesuch am fünfzehnten September zurück. Als Maggie heimkam, haben Sie da beschlossen, sie zu töten?«
    »Nein.«
    »Stimmt es nicht, daß Sie sie vor sechs Monaten töten wollten?«
    »Nein«, wiederholte Jamie.
    »Hatte sich der Gesundheitszustand Ihrer Frau verschlechtert?«
    Jamie blinzelte angesichts dieses abrupten Themenwechsels. Graham hatte ihn davor gewarnt. Audra Campbell würde versuchen, ihn wütend zu machen und zu verwirren, damit er irgend etwas sagte, das sie gegen ihn verwenden konnte. »Ja«, bestätigte er. »Maggies Zustand hatte sich sehr verschlechtert.«
    »Inwiefern?«
    »Sie war zeitweise blind, und natürlich war da die Brustamputation. Sie litt große Schmerzen – Kopfweh, Hüftprobleme, solche Sachen, eine ständige Erschöpfung. Seit Beginn der Krankheit hatte sie etwa fünfundzwanzig Pfund verloren.«
    »Ist es nicht so, daß Ihre Arztrechnungen eine astronomische Höhe erreicht hatten?«
    »Natürlich«, gab Jamie zu, »die Behandlungen haben Geld gekostet. Aber wir waren versichert.«
    »Wo wir gerade von Versicherungen sprechen, Mr. MacDonald, hatte Ihre Frau eine Lebensversicherung?«
    »Ja«, sagte Jamie ruhig.
    »Wie hoch?«
    »Über sechzigtausend Dollar.«
    »Und wer stand als Hauptbegünstigter in ihrem Versicherungsschein?«
    Jamie sah der Staatsanwältin ins Gesicht. Er würde kein schlechtes Gewissen zeigen. »Ich.«
    Audra setzte zum Todesstoß an. »Ist es nicht so, daß die kranke Frau, an deren Seite Sie damals lebten, nicht mehr die Frau war, in die Sie sich verliebt hatten – oder die Sie an Ihrer Seite haben wollten?«
    Jamie blieb der Mund offen stehen. Er war wie gelähmt; er fragte sich, ob ihm das jeder ansah, der ihm die Hand schüttelte oder ihm auf der Straße begegnete, oder ob Audra Campbell die Fähigkeit besaß, die Gedanken eines Sünders zu lesen. »Nein«, erklärte er ein wenig zu spät, »um Gottes willen!«
    »Zwei Tage vor der Tat haben Sie Ihre Frau zum Abendessen ausgeführt. Beschlossen Sie zu diesem Zeitpunkt, sie umzubringen?«
    »Nein«, verkündete Jamie fest.
    »War es beim Blumenpflücken im Park?«
    »Nein.«
    »Aber bevor Sie nach Wheelock fuhren, richtig?«
    »Nein!« donnerte Jamie. Er saß immer noch auf seinem Stuhl, doch seine Hände klammerten sich mit dem letzten Rest von Selbstbeherrschung an das Geländer um die Anklagebank. Er gab die Antwort mit zusammengebissenen Zähnen. »Ich habe nicht beschlossen, sie zu töten. Weder bevor wir nach Wheelock kamen noch danach. Niemals. Es war ihre Entscheidung.«
    Er wollte Graham nicht ansehen. Vor allen anderen Dingen hatte ihm sein Anwalt eingebläut, ruhig zu bleiben. Sie will Sie als gewalttätig hinstellen, hatte er gesagt. Sie möchte bei den Geschworenen den Eindruck erwecken, daß Sie in dieser Nacht durchgedreht sind. Jamie schielte zu Graham hinüber. Der saß an seinem Pult, den Kopf über einen leeren Notizzettel gebeugt und die Augen von der Hand überschattet, als wäre er sehr müde.
    Audra schenkte Jamie ein herablassendes Lächeln. »Angenommen, die Verstorbene war mit allem einverstanden«, sagte sie, »trifft es dann nicht trotzdem zu, daß sie in den letzten Sekunden vor ihrem Tod ihre Meinung geändert hat?«
    Jamie ließ seine Miene gefrieren. »Ich weiß

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