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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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nicht, was Sie damit sagen wollen.«
    »Hat sie Ihnen nicht wiederholt das Gesicht gekratzt?«
    »Ja, aber …«
    »Bestimmt war das doch ein recht deutliches Zeichen für jemanden, der nicht mehr sprechen konnte«, unterbrach ihn Audra sofort. »Warum haben Sie nicht von ihr abgelassen, Mr. MacDonald?«
    Jamie blickte in die auf- und abschaukelnden Gesichter der Geschworenen, als gäbe es einen Freund darunter. »Sie hat das so gewollt. Sich selbst hat sie nicht vertraut, aber mir. Und ich hatte es ihr versprochen.«
    »Versprochen«, wiederholte Audra langsam und rollte das Wort dabei in ihrem Mund herum wie einen Dauerlutscher. »Aber haben Sie in Ihrem Ehegelübde nicht auch versprochen, daß Sie für Ihre Frau sorgen würden, in Krankheit wie in Gesundheit?« Sie stolzierte in ihre Ecke, noch während Graham sich erhob, um Einspruch zu erheben. »Keine weiteren Fragen«, sagte sie.

22
     
    Als Cam am Morgen aufwachte, tastete er nach Allie, spürte aber nur eine glattgezogene Decke neben sich. Er setzte sich auf und fuhr sich mit den Händen durchs Haar, bis es in alle Richtungen abstand. Wahrscheinlich war sie unten und machte ihm Frühstück. Er schnüffelte, roch aber nur Spuren des Rosenöls, mit dem Allie die Bettwäsche beduftete.
    Langsam ging er ins Bad und putzte sich die Zähne. Sie würde das Wasser rauschen hören und wissen, daß er aufgestanden war. Der Spiegel zeigte seine Ringe unter den Augen.
    Vergangene Nacht hatte er mit seiner Frau geschlafen. Ein Akt, der unter dem Segen Gottes stand und der deshalb alles in Ordnung bringen müßte. Dennoch hatte er beim Aufwachen keine Erleichterung gespürt. Nur stechende Kopfschmerzen, die von zwei widersprüchlichen und für ihn unversöhnlichen Gedanken erzeugt wurden: Erstens würde er Mia bis an sein Lebensende lieben; zweitens bliebe er immer mit Allie zusammen. Diese beiden Gegebenheiten schienen einander zu überlappen, und ihre zackigen Ränder wollten sich nicht einmal mit Gewalt zu einem Puzzle zusammenfügen lassen.
    Er hatte alles daran gesetzt, seine Ehe wiederherzustellen, weil er wußte, daß er Mia nicht haben konnte, und weil – um der Wahrheit die Ehre zu geben – er nie die Verbindung zu Allie aufgegeben hatte. In gewisser Hinsicht freute er sich sogar darauf, dieses Kapitel abzuschließen und wieder sein gewohntes Leben aufzunehmen. Doch als Cam Allie gestern nacht berührte, hatte er gespürt, daß seine Frau ihm fremd geworden war. Sie sah noch so aus und fühlte sich so an wie früher – aber jetzt strahlte sie eine ihm unbekannte Aura von Selbstvertrauen und Sicherheit aus, die Cam völlig vor den Kopf stieß.
    Diese Erkenntnis brachte wieder Boden unter seine Füße. Allie war immer die wichtigste Konstante in seinem Erwachsenenleben gewesen. Und obwohl es ihm nicht zustand, Forderungen zu stellen, wollte er seine alte Allie wiederhaben. Sie sollte wieder zu ihm aufschauen, als hätte er die Sonne erschaffen – so daß er ihre Miene nach Hinweisen darauf absuchen konnte, ob sie ihn immer noch so unwiderstehlich fand.
    Er schlüpfte in eine Jogginghose und ging nach unten. Duschen würde er später. Vielleicht konnte er Allie überzeugen, mit ihm zusammen zu duschen; allerdings hatte er das Gefühl, daß es im Tageslicht schwieriger sein würde, Frieden zu schließen, als in der Nacht, wo man sich leichter fallen lassen konnte. »Allie«, rief er. Er sah im Wohnzimmer und in der Küche nach. Ihr Adreßbuch war verschwunden; ihre Autoschlüssel auch.
    Keine Nachricht lag für ihn bereit.
    Ihm fiel ein, wie sie ihm kurz nach ihrer Hochzeit immer aufgeschrieben hatte, wo sie gerade war, nur für den Fall, daß er sie suchte. »Das ist doch lächerlich«, hatte er ihr erklärt. »Wenn ich heimkomme und du nicht im Haus bist, dann schaue ich selbstverständlich im Garten nach. Das brauchst du mir nicht extra aufzuschreiben.« Allie hatte es trotzdem getan. Ich würde mir das gleiche von dir wünschen, hatte sie gesagt.
    Seines Wissens nach hatte er ihr kein einziges Mal eine Mitteilung hinterlassen, wohin er ging oder wann er wieder zurück sein würde. Er war Polizist und unbesiegbar, ihm konnte nichts widerfahren. Einige Male hatte Allie in der Funkzentrale angerufen, um sich zu erkundigen, wo er steckte: wenn er nachmittags dienstfrei und beschlossen hatte, einmal um den See zu spazieren, um sich den nervenzehrenden Tag aus dem Leib zu laufen, oder über den Paß in Richtung New York zu fahren. Allie hatte sich um ihn

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