In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)
mehr gegenüberstehen oder den noch atmenden Schotten, die in Viererreiben fielen, auf den Rücken steigen müssen.
Er fragte sich, wie das Paradies aussah – hoffentlich war der Himmel wie Schottland …
Immer wieder murmelte er das Vaterunser, nur um seine eigene Stimme zu hören. Er sah einen sassenach auf sich zurasen und riß den linken Arm hoch. Dann zog er das Schwert über den Hals des Mannes, so daß sich ein klaffender Spalt öffnete und er spürte, wie das heiße Blut durch die Hagelkörner auf seine eigene Brust spritzte.
Cameron MacDonald sank auf die Knie und erbrach sich; vage erinnerte er sich an sein Versprechen, bis zum letzten Atemzug zu kämpfen. Er freute sich nicht gerade aufs Sterben, doch, aye , es war ein gerechter Vertrag. Er liebte die Menschen aus seinem Dorf zu sehr, um sie leiden zu sehen.
Und wenn er noch einmal die Möglichkeit dazu hätte, würde er wieder so handeln.
Angus MacDonald setzte sich in seinem schmalen Bett auf. Nachdem er am Tag während eines lichten Augenblicks den neuesten Klatsch mitbekommen hatte, wunderte er sich nicht, daß der Geist seines Ur-ur-ur-urgroßonkels Cameron ihn in der Tiefe der Nacht aufstörte. Und es überraschte ihn noch weniger, daß sich Cameron MacDonald der Erste als Geist genauso unkonventionell verhielt, wie im Leben. Kein Kettengerassel, keine quietschenden Türen, nicht mit ihm! Nein, er suchte Angus in der Verkleidung eines Traumes auf, in einem spektakulären Blutbad, das Angus durch Camerons eigene Augen zu sehen schien, während jener, das Breitschwert schwingend, über das Hochmoor wütete.
»Was anneres hättich auch nich erwartet«, brummelte er vor sich hin, während er seine Twillhose und einen oft geflickten Shetlandsweater überzog. Einst, als er noch der Hüter von Carrymuir gewesen war, hatte er sogar gesehen, wie der Geist von Maria, Königin der Schotten, als Bursche verkleidet vom Loch Leven Castle davongesegelt war – genau wie seinerzeit, als sie vor Hunderten von Jahren dessen Kerker entfloh. Damals war er mit Magenzwicken und dröhnendem Schädel wie bei einem Kater aufgewacht – ebenfalls wie jetzt.
Angus zweifelte nicht daran, daß er, obwohl ihn die meisten Menschen in den Klauen der Alzheimerkrankheit glaubten, 'in Wahrheit ein Opfer der kollektiven Verdrängung war. Es handelte sich um eine Art Reinkarnation, eine Wiedererweckung von Gedanken, die ein anderes Clansmitglied einst gehabt hatte. Zufällig wurde er in alles eingeweiht, was Cameron MacDonald den Ersten gerade bedrückte. Und heute abend freute sich Cameron MacDonald der Erste gar nicht darüber, was Cameron MacDonald der Zweite getan hatte.
»Weiß gar nich, was er sich dabei denkt«, plapperte Angus vor sich hin, während er sich die Pantoffeln überstreifte, weil es die ersten Schuhe waren, die er in seinem Schlafzimmer fand. »Dem jungen Cam muß man immer wieder vorbeten, wie's richtich geht.«
Im Grunde war es Angus gewesen, der Cam überredet hatte, nach dem Tod seines Vaters nach Wheelock zurückzukehren und Chief der Polizei zu werden. Vor fast genau acht Jahren war Cameron nach Schottland gekommen, um Angus von Ians Unfall zu berichten. Damals war Angus vierundsiebzig Jahre alt und Zeit seines Lebens Hüter von Carrymuir gewesen, obwohl seine Frau schon seit zwölf Jahren unter dem Rasen lag und all seine Verwandten in Massachusetts lebten. Der junge Cameron, im Herzen ein Wandervogel, hatte sich bereit erklärt, ein paar Jahre über Carrymuir zu wachen, um Angus zu erlösen; doch Ians früher Tod machte ihnen beiden einen Strich durch die Rechnung. Cam hatte Angus auf einen winzigen Schluck in die Taverne geführt, wohl wissend, daß Angus, genau wie jedem anderen, der Tod des Clanchefs sehr zu Herzen gehen würde. Er plazierte seine Hände auf den verwitterten Bartresen und erzählte ihm von der vereisten Fahrbahn, dem Traktor-Anhänger, dem Knick in der schmalen Straße. Er sprach mit monotoner Stimme, weil es ihm selbst noch nicht wirklich erschien, und erwähnte, so wie die Ärzte ihm gegenüber, daß sein Vater nicht lange gelitten habe. Als er mit seiner Rede fertig war, sah Angus ihn aus klaren und trockenen Augen an. »Aye, gut! Dann werd' ich wohl noch'n Weilchen hierbleim.«
Zu Angus' Entsetzen wollte der junge Cam tauschen. Er wolle in Carrymuir bleiben, sagte er, während Angus heimkehren und den Clan übernehmen sollte. Dieser Vorschlag hatte Angus tiefer erschüttert als der Tod seines Neffen; so einfach ließen sich
Weitere Kostenlose Bücher