In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)
eines Ehemanns gewesen. Doch wenn er morgens als erster aufwachte und sich zu der schlafenden Maggie umdrehte – deren Knochen sich dicht unter der gespannten Haut abzeichneten und deren ausgehöhlte, asymmetrische Brust sich unter zitternden Atemzügen hob und senkte –, hatte es ihn jedesmal geschaudert. Es waren leichte, kleine Schauder, mühelos zu unterdrücken – bevor er seine Arme um Maggie legte und sie mit einem aufrichtigen Lächeln weckte.
Er hatte sich die alte Maggie zurückgewünscht, die Frau, in die er sich verliebt hatte …
Und verabscheute sich dafür!
Doch der Sog in ihm war stark genug gewesen, ihn so weit zu bringen, daß er ihr das Leben nahm, als sie ihn darum bat – obwohl er gewußt haben mußte, daß sie nicht klar dachte, es gar nicht konnte.
Es widerte Jamie an, daß die letzten sechs Monate mit seiner Gattin eine wohlkonstruierte Lüge gewesen waren. Er litt schrecklich unter seiner Feigheit, sich ihrem Leiden nicht gestellt und die wunderbaren, unauslöschlichen Wesenszüge ignoriert zu haben, die ihr noch geblieben waren.
Außerdem peinigte ihn das Wissen, daß alles, was er getan hatte, vergebens gewesen war. Maggie zu töten hatte sie nicht gesund und fröhlich wie früher zurückkehren lassen. Jamie sah zu Verona MacBean hoch, schwarzgekleidet, zuversichtlich und weltgewandt; wie sollte sie eine Ahnung von der Hölle haben!
Graham MacPhee saß mit einer Flasche Rolling Rock in seiner Schreibstube – schließlich war es lange nach Büroschluß – und skizzierte auf der Rückseite der Speisekarte eines chinesischen Essensdienstes mögliche Verteidigungsstrategien. Vorsätzlicher Mord wurde definiert als Tötung in heimtückischer Absicht. Hier keine heimtückischen Absichten – diese Verteidigungsstrategie war die naheliegendste, doch zugleich diejenige, die niemand wirklich beweisen konnte. Wer wußte schon, was sich hinter verschlossenen Türen abgespielt hatte? Wer sagte, daß eine beabsichtigte Tötung aus Trauer oder Liebe überhaupt in die gleiche Kategorie fiel wie ein Totschlag? Er mußte an Jamies Geständnis denken, in dem stand, daß Maggie ihn gebeten hatte, sie zu erlösen. Wenn das Opfer mit seinem Tod einverstanden war, war die Tötung dann noch ein krimineller Akt?
Er schlug mit der Faust auf die Tischkante. Diese Argumentationskette hatte Löcher, durch die man eine Herde Elefanten treiben konnte. Die Staatsanwaltschaft würde ihn im Gerichtssaal öffentlich verhöhnen.
Graham ließ den Stift um seine Finger wirbeln wie einen winzigen Tambourstab. Selbstmord, schrieb er, Mittäterschaft bei der Ausführung. Das war ein bißchen weithergeholt, schließlich wäre Maggie MacDonald bestimmt in der Lage gewesen, sich selbst die Pulsadern aufzuschneiden oder einen Eimer Pillen zu schlucken. Wozu brauchte sie Jamie dafür?
In einigen Staaten war ein mißlungener Selbstmordversuch ein Verbrechen. Für Massachusetts galt das nicht, dank Generationen demokratischer Gouverneure. Wenn ein Selbstmord kein krimineller Akt war, konnte Beihilfe zum Selbstmord auch keiner sein.
»Klar«, sagte er laut. »Nur daß keiner von den Sterbehilfeorganisationen auf dem Richterstuhl sitzt.«
Vorübergehende Unzurechnungsfähigkeit. Diese Möglichkeit hatte Graham Jamie bei ihrer ersten Unterredung vorgeschlagen; die Universalstrategie für alle Fälle, die sich unter außergewöhnlichen Umständen ereigneten. Das bedeutete, daß sich Jamie in dem Augenblick, in dem er seine Frau getötet hatte, nicht im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte befand. Er war nicht in der Lage gewesen, das Wesen und die Schwere der Tat zu begreifen, die er da beging. Was im Grunde hieß, daß Jamie, als er sich ein Kissen schnappte, nicht wirklich kapierte, daß man jemanden damit ersticken konnte; und daß er, als er es seiner Frau aufs Gesicht drückte, einen tödlichen Ausgang nicht bedacht hatte. Vorübergehende Unzurechnungsfähigkeit bedeutete, daß Jamie sich in diesem Augenblick nicht darüber im klaren war, daß er etwas Falsches tat.
Graham schnaubte. Jamie hatte verdammt gut gewußt, was er da tat; er hatte es einfach für richtig gehalten.
Es schien ein Muster für Freisprüche in jenen Fällen zu geben, in denen die Tötung als Gnadenakt gedacht war, und in denen die Verteidigung mit psychologischen Argumenten arbeitete' je brutaler die Tötungsart – mit einer Schußwaffe oder einem Messer –, desto eher wanderte der Angeklagte ins Gefängnis. Je hinfälliger das Opfer bei der
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