In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)
und zog Allie dabei fast die ganze Decke weg.
Eine Weile beobachtete Allie, wie sich die Muster an der Decke bewegten und zu den Umrissen eines Wales, eines Lamas, eines Engels gerannen. Dann streckte sie die Hand zum Nachttisch aus und knipste das Licht wieder an. »Wir können nicht schlafen«, verkündete sie, und Cam warf sich auf den Rücken, eine Hand über die Augen gedeckt.
» Du kannst nicht schlafen«, korrigierte er.
Allie biß sich auf die Unterlippe. »Hast du gewußt, daß Eheleute weniger als vier Stunden wach miteinander verbringen?« fragte sie.
»Könnten wir die hier nicht zu den übrigen zwanzig zählen?« bettelte Cam.
»Nein«, widersprach Allie. Sie kaute auf ihrem Daumennagel. »Ich finde, wir sollten mehr miteinander reden. Wir haben uns die ganze Woche kaum gesehen, weil soviel los war mit Jamie und Mia und der Himmel weiß was.«
Resigniert setzte sich Cam auf und stopfte sich das Kissen in den Rücken. »Und worüber«, seufzte er, »willst du sprechen?«
»Über alles«, meinte Allie ausweichend. Bei ihren Phantasien, wie sie ein lebhaftes Gespräch führten, hatte sie sich nie Gedanken über das Thema gemacht.
»Ich habe keine Lust, mit meinen Verhaftungen aufzuwarten«, maulte Cam.
Allie zögerte. »Wir könnten darüber sprechen, was du bei der Vorverhandlung sagen wirst.«
»Nein«, wehrte Cam sich. »Das können wir nicht.«
Sie saßen nebeneinander, bis Cam sich zu ihr beugte und sie auf die Schulter küßte. »Mir gefällt es, wenn wir uns nicht unterhalten«, sagte er. »Mir gefällt der Gedanke, daß ich mich mit dir nicht unterhalten muß .«
Allie schwieg. »Worüber haben wir uns früher unterhalten?« Die Frage richtete sie mehr an sich selbst als an Cam.
Sie kannte die Antwort bereits: Vor fünf Jahren waren sie einander noch fremd gewesen. Damals hatten sie über ihre Zukunft gesprochen, sich Namen für ihre ungeborenen Kinder ausgedacht, das große Herrenhaus entworfen, das sie eines Tages in der besten Lage von Wheelock bauen würden. Inzwischen konnten sie beim Frühstück ganze Sätze mit einem einzigen Blick austauschen, kannten die Überraschungen des anderen.
Sie und Cam waren immer grundverschieden gewesen, deshalb hatte sich Allie mit aller Kraft an die Vorstellung geklammert, daß sich Gegensätze anzogen. Sie hatte sich eingeredet, daß zwei Menschen, die sich glichen wie identische Puzzleteile, sich gegenseitig auflösten.
In den kältesten Januartagen hatten sie angefangen, miteinander auszugehen, und nach einigen Brandy-umsäumten Abendessen in ihrem Apartment hatte Cam sie eines Sonntags auf einen Spaziergang eingeladen. Es herrschten etliche Grade unter Null, und er hatte sie in seine Jacke, seine Schneehosen und seine Gamaschen gepackt, sie durch den Wald an den Fuß des Wheelock-Passes geführt. Sie erinnerte sich noch, wie sie in das Dickicht geschaut und gedacht hatte, sie würde auf einer hauchdünnen Kruste mitten ins Herz des Winters marschieren. Aufmerksam lauschte sie Cam, der von den Chimborazo-Bergen, von der Costa de la Luz, der City von Belfast schwärmte, und beobachtete dabei seinen Atem, der in kleinen Wölkchen über jedem Wort schwebte.
»Würdest du nicht gern verreisen?« hatte er sie gefragt, und sie hatte nur den Kopf geschüttelt. Sie gestand Cam, daß der bloße Gedanke daran ihr Angst machte und einen Alptraum zum Leben erweckte, den sie als Kind mehrmals gehabt hatte. Sie war in einer fremden, steinernen Stadt, und alle um sie herum sprachen in eigenartigen Klick- und Pfeiflauten, die sie einfach nicht verstand. Sie dachte immerzu, wenn sie genauer zuhörte oder sich ein bißchen gerader hielt, würde alles einen Sinn ergeben; doch statt dessen fühlte sie sich immer einsamer, und beim Aufwachen hatte sie jedesmal das Gefühl, irgend etwas Unbekanntes falsch gemacht zu haben.
»Genau darum geht es«, hatte Cam ihr erklärt. »Du tust nichts Falsches, sondern etwas anderes.«
»Wie auch immer«, erwiderte Allie, »ich weiß gern, was mich erwartet.«
Am Abend hatte er sich mit einem Kuß von ihr verabschiedet, sie eindringlich angesehen und ihr erklärt, daß Reisen nur schön war, solange man wußte, daß es einen Ort oder einen Menschen gab, der auf einen wartete.
»Findest du uns gegensätzlich?« Allies Stimme hörte sich laut und dramatisch in ihren Ohren an. »Sag?«
Sie drehte sich zu Cam um und sah, daß seine Augen geschlossen waren und die Wimpern wie Federn auf seinen Wangen lagen. Sie legte ihren Kopf
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