In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)
den Händen über seine Glieder und betastete seine Knie, die dürr und arthritisch knotig, aber ansonsten heil waren. Mit einem gedämpften Fluch über sein nasses, verschwitztes Bettuch rappelte er sich mühsam hoch und machte sich auf den Weg zum Wäscheschrank am anderen Ende des Flurs.
Er hörte Geräusche hinter Jamies Tür und glaubte im ersten Augenblick, Cameron MacDonald sei aus seinem Traum direkt in Jamies Gehirn galoppiert, doch dann schüttelte er den Kopf, das war unmöglich. Geister, echte Geister, taten so etwas nicht. Bestimmt träumte der Junge von der Beerdigung heute, oder er hatte eben Besuch von Maggie. Angus mußte lachen; irgendwann würden sie einmal zu viert frühstücken müssen – Angus und Jamie und die zwei Geister, die das Haus heimsuchten.
Mit sauberem Bettzeug beladen schlich sich Angus leise bis zu Jamies Tür. Er drückte sie leise auf und fluchte unhörbar, als sie in den Angeln knarrte. Jamie lag ohne Decke auf dem Bett, hatte die Hände zu Fäusten geballt und warf sich von einer Seite auf die andere.
Einen Augenblick blieb Angus in der Öffnung stehen. Dann stieß Jamie einen leisen Schrei aus, einen jener Laute, die sich für einen Wachen wie Gewimmer anhören, im Traum jedoch gellende Schreie sind.
Mit einem leisen Seufzen fiel das Leinen zu Boden, während Angus das Zimmer durchquerte und sich neben Jamie aufs Bett legte. Er schlang die Arme fest um den Jungen und versuchte ihn daran zu hindern, sich noch weiter herumzuwerfen. Seine Maggie sah Jamie in diesem Traum nicht, soviel stand fest. Eher sah er sich selbst.
Und kaum hatte Angus diesen Gedanken bei sich formuliert, da barg Jamie sein Gesicht an Angus' Hals, klammerte sich an seinen Onkel, als hinge sein Leben davon ab, und ließ seinem Kummer freien Lauf.
Allie hatte irgendwo gelesen, daß Eheleute weniger als vier Stunden täglich im wachen Zustand miteinander verbrachten; diese Statistik erschreckte sie, denn dank Cams unberechenbarer Schichteinsätze hatte sie bisweilen den ganzen Tag keine Gelegenheit, mit ihm zu sprechen.
In einer anderen Statistik stand, daß Frauen im Laufe eines Tages doppelt so viele Wörter von sich geben wie Männer, und sie fragte sich, ob das daher rührte, daß Frauen von Natur aus Klatschbasen waren, oder ob Männer einfach doppelt so lange brauchten, um zu verstehen, was man ihnen mitteilte.
Den äußeren Rahmen wußte sie nicht mehr, doch irgendwie hatten diese beiden Statistiken etwas mit Scheidung zu tun.
Sie hielt es für ihre ureigenste Pflicht, sich aktiv mit Cam zu beschäftigen, sobald und solange er bei ihr war. Ihre Beziehung war viel zu wichtig, um an einer so gewöhnlichen Klippe wie der Sprache zu scheitern.
Allie kletterte ins Bett und sah Cam an, der sich prompt nach seinem Nachttisch streckte und das Licht ausknipste. Sie seufzte und ließ sich auf den Rücken fallen, die Arme über dem Bauch gekreuzt. »Du bist sauer auf mich«, argwöhnte sie.
»Unterstell mir nicht einfach so etwas«, sagte Cam.
Doch er wechselte kein Wort mehr mit ihr, nachdem sie beim Abendessen beiläufig erwähnt hatte, daß sie in der kommenden Woche nach Cummington fahren würde, um Graham MacPhee bei Jamies Verteidigung zu unterstützen. »Und wieso sprichst du dann nicht mit mir?« bohrte Allie.
»Ich spreche doch mit dir – jetzt zum Beispiel.« Er warf ihr einen gequälten Blick zu. »Machst du dein Licht aus?«
»Du willst nicht, daß ich Jamie helfe«, meinte sie tonlos.
»Und du bist erwachsen, Allie. Die Entscheidung liegt allein bei dir.«
Allie legte die Stirn in Falten und langte nach dem Lichtschalter. »Aber du wirst für die Anklage in den Zeugenstand gehen. Und ich für die Verteidigung.«
»Ich bin Polizist«, sagte Cam, »kein Staatsanwalt. Mir ist das egal, ehrlich.«
Sie starrte an die Decke, wo sich das Mondlicht in blassen, weißen Kaleidoskopmustern sammelte. »Er ist sehr rührend«, murmelte sie.
»Wie gesagt«, wiederholte Cam, »ich bin kein Staatsanwalt. Der möchte so was hören.« Er tastete sich über die Hügel der Tartan-Decke, bis er Allies Hand fand, dann hob er sie an und küßte sie auf die Knöchel. »Gute Nacht«, sagte er mit einem Blick auf die Digitaluhr neben Allies Kopf.
»Ich werde mindestens drei Tage weg sein«, bemerkte sie noch. »Vielleicht sogar vier.«
Cam nickte und murmelte schläfrig: »Amüsier dich gut.«
»Willst du mir nicht sagen, daß ich dir fehlen werde?«
»Du wirst mir fehlen.« Er drehte sich auf die Seite
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