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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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merkte, daß Allie an seinem Ärmel zupfte. Sie lächelte ihn unsicher an und führte ihn dann zu Jamie hinüber. Sie schob ihren einen Arm in Cams, dann den anderen wieder in Jamies, und in dieser Sekunde durchfloß Cam eine namenlose Trauer, als hätte sich durch den Kontakt zwischen ihnen ein Stromkreis geschlossen.
    Maggie MacDonald wurde auf Ellens Wunsch hin auf dem Geviert der MacDonalds begraben. Das Grab lag etwas abseits von Ians und war noch weiter von dem entfernt, in dem Cams Großeltern, seine Urgroßeltern und jener heldenhafte Onkel Cameron lagen. Als Cam von dem Angebot seiner Mutter erfuhr, Maggie dort zu beerdigen, hatte er sie über eine Stunde lang angebrüllt. Das bedeutete, daß er eines Tages neben Jamie MacDonald liegen würde, und er glaubte nicht, daß er das bis in die Ewigkeit aushielte.
    Während Pater Gillivray weiter seine Stimme erschallen ließ, merkte Cam, daß er auf seinen Füßen schwankte – ein Nebeneffekt der absolvierten Mitternacht-bis-acht-Schicht. Er starrte auf die Blumengestecke rund um den Sarg. Sie waren makellos, rein und in Elfenbeintönen gehalten, aus denen nur die Tränenform blutroter Rosen herausstach. Er ließ die Lider sinken und dachte an das Dudelsackpfeifen, das den Heimgang seines Vaters aus Wheelock begleitet hatte. Das Knarren des Sarges, der in die Erde gelassen wurde, ertönte.
    Allies Finger schlossen sich fester um Cams Arm, und plötzlich begriff er, daß das Geräusch, das ihn an das Klagen jener Dudelsäcke erinnerte, von Jamie MacDonald herrührte. Cam hatte gehört, daß in China viele wohlhabende Familien professionelle Klageweiber bezahlten, die während der Beerdigung um den Toten weinten. Dort galt es als Ehre, wenn viele Menschen um einen weinten. Um Maggie MacDonald weinte zwar nur ein Mensch, doch deshalb war das Erlebnis nicht weniger ergreifend.
    Jamie brach vor Cams Augen zusammen. Er löste sich aus Allies und Ellens Griff, sank in der weichen Erde auf die Knie und schlug die Hände vors Gesicht, während der Sarg Zentimeter um Zentimeter tiefer sank. Hinter Cam wurden die Leute aus dem Ort unruhig vor Nervosität und Verlegenheit. Pater Gillivray sah von seiner Bibel auf. »Mein Sohn«, sagte er leise.
    » Mo chridhe «, flüsterte Jamie mit weit offenen, trockenen Augen. Plötzlich erhob er sich hölzern und tastete nach Allies Arm. »Bitte«, hauchte er, »bring mich hier weg.«
    Nach einem kurzen Blick auf Cam führte Allie Jamie beiseite. Pater Gillivray absolvierte eilig seine Gebete, und nachdem Jamie verschwunden war, zerstreuten sich auch die übrigen Trauergäste schnell. Die Friedhofsgärtner begannen, Erde auf den Sarg zu schaufeln, und schichteten einen ordentlichen runden Hügel auf, wo kurz zuvor eine Grube gewesen war.
    Die Hände in den Taschen, sah Cam ihnen zu und malte sich dabei aus, dies sei die Strafe dafür, daß er den Trauergottesdienst versäumt hatte. Er würde dafür sorgen, daß alles ordentlich zu Ende gebracht wurde. Die beiden Männer lehnten ihre Schaufeln gegen eine nahe Eiche und wischten sich den Schweiß aus dem Nacken. Dann drehte Cam sich um und sah Mia hinter sich stehen.
    Er starrte sie an, als sei es ihm nur dies eine Mal gestattet, sie anzuschauen. Mit geballten Fäusten wartete er ab, bis der breite schwarze Hut sich so weit hob, daß er ihr in die Augen sehen konnte. Als sie aufblickte, begann sein Magen Achterbahn zu fahren wie seit der High-School nicht mehr.
    Es war absolut ungehörig, hier und jetzt so zu empfinden, doch Cam spürte, wie die Hitze aus seinem Körper loderte und zuckte. Ab, dachte er, als er wieder zu atmen begann, sie leuchtet von innen.
    Mia sagte kein Wort, sondern trat vor ans Grab und hob eines ihrer Blumengestecke hoch. Nachdem sie sorgsam den Draht um die rote Rose in der Mitte abgewickelt hatte, zog sie den Stengel aus dem Steckschaum und reichte sie Cam.
    Er zwirbelte sie zwischen den Fingern und strich sich damit über die andere Hand. Allie hatte wenig für Rosen übrig – nannte sie plebejisch –, doch er hatte sie immer hübsch gefunden. Ihm gefiel es, wie sie sich anfühlten, glatt und weich wie die Haut einer Frau.
    Mit großer Sorgfalt pflückte er die Blüte vom grünen Stengel und zerzupfte sie in seiner Hand. Er hob sie in den Wind und ließ die Blätter in der Luft tanzen und wirbeln, bis sie auf dem Erdhügel zur Ruhe kamen.
    »Was heißt das?« fragte Mia.
    »Was heißt was? « sagte Cam erschrocken, während ihm eine Million möglicher

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